2007-03-16
Von Mensch bis Schöffe
Liebe Freundinnen und Freunde von kärnöl!
Herzlich Willkommen zur heutigen kärnöl Veranstaltung mit Kurt Leutgeb.
Die bloße Auflistung der Werke eines Autors sagt schon einiges über ihn und sein Werk aus. Kurt Leutgeb´s Werkliste klingt so: „Mensch - K2 - Die Unschärfe – Schöffe“.
Doch wechseln wir die Perspektive ohne sein literarisches Tun aus dem Blickwinkel zu verlieren.
„Der Mensch, Angehöriger der Gattung Homo sapiens ist ein sinnlich-bedürftiges Naturwesen aus Fleisch und Blut, ein durchaus beschränkter, sterblicher Organismus „wie auch das Tier und die Pflanze“ – freilich zugleich eine besondere Art Naturwesen, ein „reflektierender – Perspektiven wechselnder - Organismus“, der mit Bewusstsein und Fähigkeit zur langfristigen Handlungsplanung herumläuft.“ (vgl. Marx/Engels-StudienausgabeBd.2, Frankfurt/m. 1966, S. 81) Das „menschliche Wesen“ ist in seiner Wirklichkeit aber nach Karl Marx auch das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Der Schöffe (von althochdeutsch: sceffino, der Anordnende) der heutigen Zeit ist - aus der obigen Perspektive betrachtet - das Ergebnis eines konsequenten kapitalistischen „Sozialisierungsprozesses“. Durch die mittlerweile Jahrhunderte dauernde Anwendung der subtilen „Benthamschen Pädagogik“ gelang es den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen den Strafverfahrensprozess mit dem Ziel der Profitmaximierung zu veräußerlichen. Eigentlich zu verinnerlichen, das heißt, der „kapitalistisch entsozalisierte Mensch“ richtet und bestraft sich selbst im Namen seines Gottes, dem abstrahierten Kapital. Im Sinne der Benthamschen Pädagogik ist der Mensch Verurteilter, sein eigener Richter und Strafvollzugsorgan, d.h. Wächter geworden.
Trotz des tagtägliche, globalisierten und marktorientierten kapitalistischen Entsolidarisierungsprozesses treffen wir, wenn auch immer seltener, auf Auto-Poeten, das heißt auf jenen Menschen, die mittels ihrer Fähigkeit des Perspektivenwechsels und der „Poiesis“ – das schöpferische Tun – gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren und eine Neu – Bebilderung unseres Lebens stimulieren.
Kurt Leutgeb ist einer von ihnen.
So erzählt er im Roman „Mensch“ aus der Perspektive zweier Geldscheine (eines Menschfälschers und eines Polizisten) eine Kriminalgeschichte und reflektiert mittels dieses literarischen Genres die gegenwärtige Usurpation des Humanen durch das Ökonomische.
„K2“ ist nach Kurt Leutgeb etwas ganz Verpöntes, nämlich eine Allegorie. Am Rand von Wien wächst ein Berg, der sich sein Material aus der Stadt holt. Eine Gruppe von Leuten begibt sich, nachdem sie beinahe von ihm verschluckt worden wäre, auf den Berg.
In seinem Roman „Die Unschärfe“ entwickeln Wissenschafter eine Methode, mit der sie den Zeitpunkt ermitteln können, zu dem ein Mensch sterben wird. Sie finden heraus, dass sie alle am selben Tag zur selben Uhrzeit sterben werden.
Während seine ersten drei Bücher Romane sind, nennt Kurt Leutgeb „Schöffe“ eine Essayerzählung. Der Text verbindet narrative Passagen über einen Strafprozess mit sehr weitreichenden Reflexionen, über das Recht, die Literatur, Gott und die Welt und ihn selbst.
Doch wechseln wir die Perspektive und kommen zum Ausgangspunkt meiner einführenden Worte zurück, zur Lesung von und mit Kurt Leutgeb.
Im Namen von kärnöl wünsche ich Ihnen einen perspektivenreichen literarischen Abend.