2006-06-30
Durch die Tore von Nowa Huta
Eine Ausstellung von Tassilo Blittersdorff in Krakow
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass gemeinsam mit einem mächtigen Stahlkombinat, den Tadeusz Sendimir Stahlwerken, einer Eisenhütte aus dem Kanon kommunistischer Industrialisierung, in dem vor allem auf Schwerindustrie gesetzt worden ist, in Krakau eine neue Wohnstadt für die Arbeiter und Angestellten des Werkes aus dem Boden gestampft worden ist.
In solchen Projekten sollte die Gesellschaft der Zukunft, jenes gelobte Land sich entfalten, dem der polnische Nobelpreisträger Wladislaw Reymont, ein weiteres halbes Jahrhundert früher in seinem Roman über die Industrialisierung der Stadt Lodz erste Gestalt verliehen hat.
Nova Huta war als perfekte Stadt geplant, die die große Utopie erfüllen und verwirklichen sollte, die in direkte Konkurrenz zum konservativen Krakau treten sollte.
In Folge hatte die polnische Industriegesellschaft, wie alle anderen Comecom Länder, die Lasten des Kalten Krieges, bis hin zum großen Zusammenbruch des Sowjetsystems Ende der 80 er Jahre, zu tragen. Verblieben ist die Wohnstadtanlage nach sozialistischen Vorstellungen, ebenso wie der industrielle Komplex.
Tassillo Blittersdorf hat es unternommen, die Architektur der weitläufigen urbanen Anlage unter Aussparung des zugehörigen Industrieareals in unterschiedlichen Techniken zu reflektieren und in Bild-Serien, insgesamt 100 an der Zahl, darzustellen.
Herausgekommen sind eindrucksvolle Bilder, die eine bestimmte Tristesse nicht leugnen, die Wehmut einer gescheiterten Utopie, die doch die ihr zugehörigen Menschen nicht völlig entlassen kann, da es keine wirkliche Alternative zu geben scheint. So erscheint Nova Huta als ein Projekt zwischen den Zeiten, den verlorenen und den Neuen, die noch nicht wirklich gegriffen haben und lässt die Ahnung auftauchen, dass der utopische Mut ein wesentliches Moment des menschlichen Wesens ist und die Geschichte doch nicht völlig im Stich lassen kann.
Nova Huta könnte als Symbol stehen für eine gescheiterte Utopie, die das Beste versprochen hat, ohne es in Vollendung leisten zu können.
Nova Huta ist zwar ein lebendiger Ort geblieben, eine Wohn-, Schlaf- wie Lebensstadt am Rande von Krakau, doch der große Atem der Geschichte ist ausgeblieben.
Die Stahlhütte, das glühend pochende Kernstück ist in den Besitz eines britisch indischen Konsortiums übergegangen und damit den Regeln wie Fährnissen der allgemeinen Globalisierung unterworfen.
Wien, 22.November 2004, Franz Krahberger.