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2006-06-30

Nowa Huta

Fotos Verändern und das komplexe Bild einer Stadt

Die Fotografie, als weitgehend exakte Aufzeichnung unikaler, räumlicher und zeitlicher Situationen, hat differenzierte Möglichkeiten ihrer visuellen Präsenz und Anwendung, deshalb ist sie ein guter Weg für eine Annäherung an das vielschichtige urbane und soziale Phänomen Nowa Huta. Das Cross-Over-Projekt, welches sich mit der ehemaligen, sozialistischen Idealstadt und ihrem aktuellen Stellenwert beschäftigt, geht von verschiedenen Arten der fotografischen Darstellung dortiger Bauwerke aus.

Das gleiche Motiv in verschiedenen Techniken wiedergegeben, verweist auf die unterschiedlichen Aspekte des Gegenstands: Farbfotos dokumentieren Architektur und Alltag, verändern ihr Aussehen, erscheinen in verschiedenen Verkleidungen, einmal als realistisch-romantisches Ölgemälde, dann als lyrisch-zarte Bleistifteichnung mit Schattierungen, als ausdrucks-starker Linolschnitt oder Cyanotypie - eine alte Reproduktionstechnik, die Fotos malerisch auflöst - auf weißem und rotem Papier.

Bild bleibt Bild, auch wenn es anders aussieht: eine Stadt verändert sich, doch bleibt der Mensch Mittelpunkt.
Die Fotografie, als Übersetzung einer einmaligen Realität in dauerhafte Bilder, erzeugt einen spezifischen Illusionismus, wenn sie räumliche Situationen auf die Fläche bannt. Die Raumdarstellung durch die Kamera weicht von den menschlichen Sehgewohnheiten ab, z.B.: entstehen bei Verwendung bestimmter Objektive (Weitwinkel) Verzerrungen im Bild.

Die Komplexität des fotografischen Bildes wird auch vom menschlichen Auge nicht immer gleich und richtig entschlüsselt - es kann zu Verzögerzungen und Fehlern beim Lesen optischer Informationen kommen.
„Die Freiheit des Pinselstrichs“ steht im Widerspruch zu: „sieht aus wie ein Foto“ Das Gegensatzpaar: „Originaltreue - Freiheit der Umsetzung“ ist auch beim Abbilden von Fotovorlagen in den traditionellen Bildtechniken (Malerei, Zeichnung, Druckgrafik) entscheidend.
Das Fotovorbild ist wie eine Partitur nach der gemalt wird; seine Bildlogik dient als Leitfaden und als Korrektiv für die Abweichungen, die sich als unbewusste Neuinterpretationen bei, durch Menschenhand entstandenen Wiederholungen zwangsläufig ergeben.
Das Übertragen einer Fotovorlage in eine andere Bildtechnik fügt zu den Charakteristiken der Fotografie auch jene des, jeweils dafür verwendeten, künstlerischen Mediums. Es entsteht ein „überlagertes“ Bild, das z.B.: wie ein realistisch-romantisches Gemälde erscheint, und neben dem „Blick durch das Kameraobjektiv“ noch viele andere Eigenschaften von Fotografie besitzt: Komplexität der Bildinformationen, Dokumentation des Augenblicks, Raum- und Lichtillusion.

Das Spannungsverhältnis „Kamera Auge – menschliches Auge“ unterscheidet die, auf Fotogrundlage gemalten Stadtansichten wesentlich von herkömmlicher Vedutenmalerei. Durch das Objektiv bedingte Veränderungen bleiben im Bild als Referenz an die Fotografie erhalten, obwohl seine Oberfläche, wie die alter Gemälde aus vielen, übereinander gelegten Lasurschichten besteht.
Die bildliche Darstellung sollte auch in Entstehungsvorgang dem eigentlichen Thema dieses Kunstprojekts, dem vielschichtigen, urbanen Phänomen Nowa Huta, zumindest ansatzweise, entsprechen.

Die Gründung von Nowa Huta ist Teil der Geschichte geplanter Städte und Industrieanlagen, welche bis in die Zeit der französischen Revolution zurückgeht. Die literarisch-theoretische Suche nach einem ‚idealen Ort für den idealen Menschen’ ist dabei noch viel älter, sie begann bereits im 16 Jhdt., vielleicht mit der ‚Utopia’ des Thomas Morus oder der ‚citta del sole’ des Tomaso Campanella.
Nowa Huta, von Anfang an für mehr als 100.000 Einwohner geplant und damit im Spitzenfeld stadtplanerischer Großprojekte des 20. Jhdts. wäre ohne die Geschichte der Planstadtkonzepte und ohne Einbindung in das internationale Planungsszenario undenkbar.
Die Übernahme von Gartenstadtideen oder der „neighbourhood-units“- sie wurden um 1920 in New York entwickelt, sind dafür deutliche Beispiele. Auch die internationalen Kongresse des CIAM für Stadtplanung und Entwicklung beeinflussten die Entstehung von Nowa Huta.
Diese Offenheit für internationale Einflüsse vertrug sich nicht ganz mit dem Anspruch einer ‚sozialistischen Idealstadt’ und dem politischen Klima im kommunistischen Polen der Nachkriegszeit, doch gibt diese Ambivalenz dem Stadt- und Industriegründungsprojekt aus der Mitte des des 20. Jhdts. Spannungsmomente, die es noch heute lebendig und interessant erschei-nen lassen.

Überarbeitung des Textes:“ Nowa Huta und das Verändern von Fotos“ vom Dezember 2004. Nowa Huta 3-4-Nov. 2005

Tassilo Blittersdorff

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