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2005-12-12 Grüne Politökonomie MARKTRADIKALISMUS ZWISCHEN BIRKENSTOCK UND BIRKENAU? Zum Verständnis: Dies ist ein erster Beitrag zum Diskussionsaufruf: Mehr Markt - weniger Konzerne? Leiden wir an zu wenig oder an zu viel Markt? , lesen Sie dort nach, was der Ausgangspunkt der Diskussion ist! Die österreichischen Grünen scheinen derzeit wirklich zu sich zu kommen. Und damit kommen sie dort an, wo sie immer schon hingehört haben. Weit rechts von dem, was als politische Mitte gilt. Anscheinend durch ihre dauernden Wahlniederlagen "auf hohem Niveau" in eine Krise geschlittert, erkennen sie plötzlich programmatischen Handlungsbedarf auf einem Terrain, das sie bislang - Gott sei Dank – eher links liegen gelassen haben. Doch das soll sich nun ordentlich ändern. Denn die österreichischen Grünen wollen offensichtlich massiv in die politökonomische Debatte einsteigen. So schmieden sie zur Zeit an einem Grundsatzprogramm, dessen realpolitische Auswirkungen nach Ansicht der Entwurfsvorlagen aus heutiger Sicht eigentlich nur befürchtet werden können. Woher der politische Wind weht, den die Grünen in Österreich säen wollen, das war am Dienstag beim Vortrag "Marktwirtschaft ohne Konzerne" in Villach zu hören. Bleibt nur zu hoffen, dass der Sturm, den sie ernten werden, gnädig an uns vorbeiblasen möge. Zum erwähnten Vortrag "Marktwirtschaft ohne Konzerne" lud die Grüne Bildungswerkstatt im Rahmen ihrer Reihe "Zukunft der Arbeit" am Dienstag, dem 5. 12. 2005 in den Gasthof Kasino am Villacher Kaiser-Josef-Platz. Als Vortragenden hat man sich Walter Oswalt geholt, seines Zeichens Philosoph und Publizist aus Frankfurt am Main. Der Mann ist nun nicht gerade irgendeiner, hat ihn doch die Grüne Bildungswerkstatt bereits vor einigen Jahren mit der Vorlage des Entwurfs eines Grünen Grundsatzprogrammes beauftragt. Diesem Auftrag ist Oswalt mit seinem Text "Ein neuer Gesellschaftsvertrag für Österreich und Europa" nachgekommen, wie wir der Frankfurter Rundschau vom 14. 7. 1999 entnehmen. Die Thesen dieses Texts bildeten den Inhalt des Abends. Und diese Thesen sehen im Wesentlichen wie folgt aus: Das, was ist ... Die gegenwärtige politische und ökonomische Krise, so der Grundtenor des Ex-Grünen und nunmehrigen Ordoliberalen Oswalt, habe eine klar umrissene Ursache. Sie sei die Folge einer Bedrohung der Freiheit der Demokratie sowie der Freiheit der Märkte. Diese Bedrohung verhindere die Entwicklung dessen, was die Grünen sich an guter Zukunft so vorstellen. Die Bedrohung selbst konkretisiere sich in Form immer größer werdender Konzentrationen ökonomischer Macht, welche allein auf Grund ihrer Kapitalstärke auch über politische Macht verfügen. "Mit dieser staatenähnlichen Macht sind die großen Konzerne in der Lage, die Regeln des Handelns mehr und mehr zu bestimmen." Damit hat Oswalt natürlich recht. Denn nicht nur in der EU entscheiden transnationale Konzerne an zentralen Stellen (soll heißen durch einflußreiche Lobbies, durch Sitze in Normungsgremien, etc...), was wir essen dürfen, wie wir wohnen sollen, wie wir arbeiten müssen und so weiter und so fort. Durch diesen Griff an die Gurgeln von Demokratie und freiem Markt könne sich etwa auch ökologisches Handeln, die Entwicklung nachhaltiger Technologien und vieles Gute mehr nicht oder eben nur unzureichend entwickeln. So weit ein (sehr) kurzer Abriss der, an einigen Stellen gar nicht so üblen Ist-Analyse Oswalts. ... soll anders werden? Doch wie ankommen gegen diese staatlich subventionierten und protektionierten Minderleister, die den freien Markt nach außen zwar lautstark fordern, ihn tatsächlich aber konsequent unterminieren? Richtig! "FUNKTIONIERENDER LEISTUNGSWETTBEWERB", so Oswalt, sei "das beste Entmachtungsinstrument, über das wir verfügen. Konsumentendemokratie auf entmachteten Märkten ist die einzige Form von Wirtschaftsdemokratie, die realisierbar ist." Und deshalb fordern die Grünen "Kapitaleigentum für alle und bekämpfen die Enteignung der Mehrheit. Die Grünen befürworten das LEISTUNGSPRINZIP AUF DEN MÄRKTEN und lehnen die Politik der 'Besitzstandswahrung' ab." Fassen wir also kurz zusammen: Um die gegenwärtige Krise zu überwinden, ist die Freiheit der Märkte (wieder) herzustellen und sind dieselben mit der Demokratie der Konsumentinnen und Konsumenten zu durchfluten. Dazu muss der destruktive und leistungsfeindliche Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb der wenigen Großen qua ORDO durch einen funktionierenden und konstruktiven Leistungswettbewerb der vielen Kleinen ersetzt werden. Denn Schuld an unserer politischen und ökonomischen Krise haben einzig die undemokratischen, weil staatlich protektionierten (und damit diesen Staaten ähnlichen) Großkonzerne, welche die kleinen Marktteilnehmer und wahren Demokraten durch gigantische Kapitalkonzentrationen daran hindern, sich endlich in einem funktionierenden Leistungswettbewerb frei und gleichberechtigt gegeneinander durchsetzen zu können. Wenn also der verzerrte (oder gar entartete?) undemokratische und oligopole Kapitalismus durch den wahren, also den menschenrechtlich und demokratisch verfassten Kapitalismus ersetzt ist, in welchem dann einzig durch Leistung erwirtschaftete Profite das Handeln der Menschen steuern, dann sind wir am Ziel. Dann wird die negative Fremdbestimmung der Menschen durch die gegenwärtige Marktmacht der Großkonzerne tranformiert sein in eine selbstbestimmte und aufgeklärte Vernunftentscheidung, sich in immerwährender Konkurrenz auf freien Märkten in einem gleichberechtigten global(isiert)en Leistungswettbewerb gegeneinander durchzusetzen. Nicht wirklich! Einmal abgesehen davon, dass mir persönlich allein die Vorstellung einer solchen "schönen, neuen Welt" den kalten Schauer über den Rücken jagt, gründet dieses Denken - Gott sei Dank! - auf einer enormen, politökonomischen Reflexionsverweigerung, zumal es noch nicht einmal die Ursachen der (bösen, bösen!!) Marktverzerrungen zu erkunden versucht. "Der Markt ist durch enorme Kapitalkonzentrationen verzerrt!", empört sich dieses Denken, will aber an keiner Stelle auch nur andeutungsweise wissen: "Warum?" Und schon gar nix wissen will dieses Denken von einer Antwort auf die Frage: "Warum überhaupt Markt?" Wer aber auf genau diese Fragen keine Antwort will, weil er sie ja noch nicht einmal stellt, wird den mysteriösen Unwägbarkeiten seines unhintergehbaren Marktes nicht nur praktisch sondern eben auch theoretisch ausgeliefert bleiben, wie ein Schmetterling dem Orkan. Aber was anderes als Marktradikalismus soll man sich von einer bürgerlichen Partei wie den Grünen auch erwarten? Nichts nämlich gilt dem bürgerlichen Denken unverdächtiger (ja geradezu jungfräulicher) als die Produktion von Waren und deren fairer(!) Tausch am Markt. Das beginnt schon lange vor Adam Smith, zieht sich durch die gesamte klassische und neoklassische Nationalökonomie, durchdringt die liberalen, die neo- und die ordoliberalen Gegner des Staatsinterventionismus genauso wie politische Obskuranten vom Schlage eines Silvio Gesell. Und auch an Orten, an denen man das auf den ersten Blick vielleicht gar nicht vermuten würde, herrscht diese merkwürdige Übereinkunft. So bildet sie etwa die Grundlage jedes noch so kleinen Tauschkreises, wie sie in vielen katholischen und evangelischen Pfarreien aus dem Boden schießen. Weder die Sozialdemokraten haben das je anders gesehen noch haben es die Christlichsozialen oder auch die Nationalsozialisten. Es muss aus wertkritischer Sicht angemerkt werden, dass letztlich auch der real existierende Sozialismus in einer ihm spezifischen Form dieser Halluzination genauso aufgesessen ist. Nun hat aber eine solche Vorstellung enorme Konsequenzen: Denn dieses "aufgeklärte" und marktradikale Denken kann seit seiner Entstehung menschliche Vergesellschaftung nicht anders (ver)fassen denn als eine ununterbrochene Sequenz von Tauschakten. Jede andere Art menschlicher Interaktion erscheint dem bürgerlichen Denken anrüchig und muss von ihm daher ins sogenannte "Private" marginalisiert werden. "privare" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "rauben". Somit ist das Private des Bürgers das Nicht-Gesellschaftliche, das was ihm bleibt, nachdem er sich selbst jeder anderen Möglichkeit seiner Vergesellschaftung beraubt hat. Die Entkopplung von Geben und Nehmen, die das bürgerlich Private geradezu definiert und nach dem sich die Menschen sehnen wie die Heiligen ins Paradies, also die Suspendierung des Tausches, und damit eine völlig andere, als die kapitalistische Art menschlicher Vergesellschaftung darf vom Bürger bei Strafe seiner politischen Kriminalisierung und seines ökonomischen Ruins nicht auf der gesellschaftlichen Ebene sondern bestenfalls in dieser privaten Marginalie gedacht werden. Wenn der Bürger gesellschaftlich wirklich werden will, ist er in seiner Gesellschaft zum Tausch gezwungen. Dieser Äquivalententausch ist aber allein auf Grund seiner inneren Konstitution nicht ohne einen mörderischen Wettbewerb der Marktteilnehmer gegeneinander zu haben. Und so ist der Bürger zur ununterbrochenen, hochkompetitiven Produktion von immer neuem Tauschwert verdammt, wenn er jemals Anteil am Gesellschaftlichen bekommen möchte. Die gesamte Krise, aber natürlich insbesondere die von den Grünen so bejammerte ökologische ist durch nichts anderes verursacht, als durch den paranoiden Zwang des kapitalistisch verfassten Bürgers, ständig und im existenziellen Wettkampf gegen seinesgleichen immer neuen Tauschwert produzieren zu müssen, wenn er jemals die Chance haben möchte, sich gesellschaftlich zu verwirklichen. Natürlich ist es Walter Oswalt und seinem bürgerlich-liberalen Denken nicht möglich, genau den Tausch, also den Auslöser dieses paranoiden Zwangs des Bürgers zur ständigen Produktion neuen Tauschwerts in einem hochkompetitiven Wettbewerb gegen seinesglichen als die wahre Quelle der Krise zu dekodieren. Ein Denken, dass solchen Schranken unterliegt, kann naturgemäß nicht mehr anders, als die Ursache der Krise zu ihrer Lösung umzuhalluzinieren. Wettbewerb, also kompetitives Gegeneindander der Menschen, ob als Leistungswettbewerb blitzsauber menschenrechtlich und demokratisch verfasst oder als Verdrängungs- bzw. Vernichtungswettbewerb plutokratisch verzerrt, war und ist immer nur Ursache und wird nie Lösung jener globalen Krise sein, in die der Kapitalismus unsere Gesellschaften stürzt. Soviel zu Oswalts Lösung. Und jetzt zu seinem Problem. Das Geld, zumal in seiner entwickelten Form der internationalen Kapitalkonzentration, kann einem solchen Denken, welches den hochkompetitiven (aber bitte, bitte fair bleiben!) Tausch der stofflichen, also der konkreten Ware, des 3Liter-Autos, des Bio-Joghurts, etc.. am Markt als anthropologische Naturkonstante und einzige Vergesellschaftungsmögllichkeit hypostasiert, gar nicht anders als suspekt erscheinen. Gibt es doch keinen einzigen sichtbaren Grund für seine völlig unbegreifliche Eigendynamik. Wie ist es möglich, fragt der erschütterte Bürger, dass sich zu seinem völlig unverdächtigen Tausch am Warenmarkt die gänzlich undurchsichtige Kapitalspekulation am Finanzmarkt gesellt? Oder anders gefragt, wie kann es dem einzelnen so schlecht gehen, wo es uns allen doch so gut geht? Dass das Geld nichts anderes ist, als die äußerere Erscheinungsform des, in der Ware grundgelegten abstrakten Wertes, wie Marx in seiner Wertformanalyse im ersten Band des Kapitals nachweist, ist dem bürgerlichen Denken nicht zugänglich. Offensichtlich beginnt seine Marx-Lektüre wenn überhaupt erst mit Band 3 des (entwickelten) Kapitals. Und so bleibt die konkrete, die stoffliche Ware und ihr fairer Tausch am Markt dem bürgerlichen Denken rein, jungfräulich und unschuldig. Das Geld jedoch kann von ihm nur antinomisch als das abstrakte Gegenteil der konkreten Ware erfasst werden. Anders ausgedrückt lässt sich der abstrakte, also der von jeder empirisch erfahrbaren Ausformung einer konkreten Ware befreite weil all(en Waren)gemeine Wert einer Ware vom Bürger nicht als in ihr präkonfigurierter Bestandteil ihrer selbst denken. Viel zu abstrakt erscheint ihm eine solche Analyse, als dass sie Realität ausdrücken könnte. Daher müssen ihm das Geld und insbesondere seine entwickelte Form der Kapitalkonzentration auf den internationalen Finanzmärkten als das Andere erscheinen, als das böse, das unreine, das schuldige also das genaue Gegenteil der guten, der reinen, ja der jungfräulichen, der unschuldigen Ware und ihres fairen Tausches am Markt. Weit davon entfernt, die Ware und ihren Tausch am Markt als die einzige Verursacherin sowohl des bösen, abstrakten Finanzmarktes als auch des ihn bedingenden, guten und konkreten Warenmarktes, als die tatsächliche Ursache der kapitalistischen Krise erkennen zu können, muss Oswalt genau in dieser Antinomie gefangen bleiben. Und so bedrohen für ihn die abstrakten, großkapitalistischen Finanzkonzentrationen, konkretisiert im transnationalen Großkonzern, die konkreten kleinkapitalistischen Wohlfahrtsbemühungen. Dieses Denken geht mit dem antikapitalistischen Reflex in seiner strukturell antisemitischen Form schwanger wie die Wolke mit dem Regen. Von hier bis zur Illusion einer Dichotomie von raffendem Finanz- und schaffendem Industriekapital der frühen Nazi-Propaganda ist es nur ein verdammt kleiner Schritt. Es war genau dieser kleinbürgerliche, anitkapitalistische Reflex mit seiner strukturell und damals auch tatsächlich antisemitischen Revolte gegen das im Juden konkretisierte Abstrakte, der dem Nationalsozialismus den Boden bereitete und bei weitem waren es nicht die deutschen Großkonzerne, wie die Freiburger Schule das so hübsch umdeuten möchte. Dass letztere im Verlauf des Naziterrors ihre miese Rolle dann perfekt entwickelt haben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das Abstrakte ist dem Kleinbürger widerlich. Es gilt ihm als entartet. Das konnte man 1937 bei der gleichnamigen Kunstausstellung in München ganz besonders gut sehen. Gerade so, als wüsste Oswalt um die enge, kleinbürgerliche Begrenztheit seines radikalliberalen Weltbildes, begleitet ihn gewissermaßen als compagnon de tour die ständige Denunziation der aktuellen linken Debatte als Vorreiterin eines letztlich im Gulag endenden Staatsinterventionismus realsozialistischer Prägung. Die begleitende Immunisierung gegen linke Analyse und Kritik scheint integraler Bestandteil seines Denkens. Gepaart mit all den marktradikalen Grundthesen seines Programmentwurfs entsteht dabei ein Bild, wie es Moishe Postone schon auf jenem Nazi-Plakat vorgefunden hat, auf dem im Westen ein fetter, plutokratischer John Bull und im Osten ein barbarischer, kommunistischer Kommisar ein - als starker, ehrlicher Arbeiter symbolisiertes - Deutschland bedrohen. Jedem beliebigen politischen Obskuranten ist es in diesem Bild ein leichtes, in seinem Hinterstübchen den im ursprünglichen Nazi-Plakat ganz oben gezeichneten Juden dazuzupinseln, an dessen Fäden die beiden Marionetten tanzen. Auf jeden Fall aber werden sich mit einer solchen Programmatik die Wahlerfolge bei den Grünen sicher wieder auf einem ganz anderen Niveau einstellen als das zur Zeit der Fall zu sein scheint.
Martin Alfred Moser, 2005-12-12, Nr. 2191 Danke für den Beitrag.
Alois Dvorak, 2006-02-27, Nr. 2342 Sehr geehrter Herr Jank!
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