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Ludwig Roman Fleischer

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2005-10-10

Warum die Umgebung deutsch ist.

Erzählungen aus der Kärntner Umgebung

Die Umgebung ist deutsch, wie eine Umgebung deutscher nicht sein kann. Heißen anderswo im Land die Leute Petutschnig, Samonig, Pust oder Ferk und geben sich damit Kennern als slawischstämmig preis, so dominieren in der Umgebung die Krainers, Bernliegers und Erlachers, deren intrinsische Deutschheit von niemandem angezweifelt werden kann.

Wichtig für ein demographisches Verständnis der Umgebung ist das Wissen um den Umstand, dass dieselbe bis zur Völkerwanderung vermutlich unbesiedelt war, sich in ihr jedenfalls keine wie immer gearteten Siedlungspopulationen historisch bemerkbar gemacht haben. In unserem Land gibt es die schöne Tradition, sich im Zweifelsfall auf römische Wurzeln zu berufen, wenn eine allen anderen überlegene Geisteskultur behauptet werden soll. Geht es um Tapferkeit im Kampf, um Lebenstüchtigkeit und Arbeitswillen, um eine allen anderen überlegene Körperkultur also, dann werden germanische Wurzeln ins Treffen geführt. Kennt man sich überhaupt nicht aus, will man also eine demographische Leerstelle füllen, so besinnt man sich keltischer Ursprünge. Das ist eine charmante Idee: Die Kelten soffen, liebten Liebe, Musik und Poeterei und schlugen Gegnern mehr oder weniger aus einer Laune heraus die Birnen ein, nicht jedoch aus kolonialistischer Raffsucht. Die Kelten, aufmüpfige, poetische und desorganisierte Genussmenschen, sind uns ganz einfach sympathisch. Die Hochkultur der Römer hätten sie spielend geschafft, wären sie organisierter gewesen; die körperliche Zucht der Germanen ebenfalls, hätten ihre Kampfestätigkeiten etwas Systematisches, Zielgerichtetes an sich gehabt. Im Zweifelsfall sind wir also gute Kelten.

Im Falle der Umgebung deutet freilich vieles auf einen hierzulande wenig geschätzten slawischen Ursprung hin. Das Weströmische Reich war gerade am Untergehen, da drang der slawische Stamm der Slowenen in Kärnten ein. 610 wurde dieser Vormarsch bei Lienz von den Baiern zum Stillstand gebracht. Die geschlagenen Slowenen zogen sich Richtung Osten zurück und ließen sich in Kärnten nieder, weil niemand es ihnen verwehrte. Sie begannen hier mit Rodungsarbeiten und siedelten sich mit Vorliebe in vom Hochwasser ungefährdeten Tälern wie der Umgebung an. Die Idylle währte nur kurz: Aus dem Osten kommend, fielen die Awaren über sie her, und da erbaten sich die Slowenen Hilfe von den kampfestüchtigen Baiern. Deren Herzog Odilo gewährte diese, aber er tat es zu seinen Bedingungen.

„Die Awaren“, so er, „sind eyn Gesindel. Gerne stehen wir euch gegen diese Halunken bey. Eynizige Bedingung ist, dass wir an euch der Welt die Überlegenheit germanischer Lebensart vorzuführen gedenken. Wir verlangen eyn Thal der Umgebung, das wir vollständig baiuwarisieren werden, den anderen Slowenen und der Welt zum Beyspiel. Wenn ein Theyl von euch in diesem Thal baiuwarische Lebensart und Manneszucht erlernt hat, werdet ihr alle Baiern werden wollen.“

Die slawischen Gührer – Samonig und ust – gaben nach längerer Beratung jenes Tal preis, das in Gedenken an Herzog Odilos Verlangen nach eynem Thal der Umgebung fortan „Umgebung“ heißen sollte. Samonig und Pust dachten, den Baiernherzog hereingelegt zu haben, denn die Umgebung war ein raues, dem Bauernhandwerk unzuträgliches Gebiet, nur dünn slowenisch besiedelt und ohne jede wirtschaftliche oder strategische Bedeutung. Der Herzog akzeptierte, und als erste Maßnahme seines Baiuwarisierungsprogramms mussten alle slawischen Umgebungstaler bairische Namen annehmen. So wurden Zablatnigs zu Zaunern, Krajicics zu Krainern, Berntschitschs zu Bernliegern, Sjelacics zu Schellandern, Erlics zu Erlachern. Zusätzlich schickte Herzog Odilo bairische und fränkische Pioniere in die Umgebung, die den Slawen den Umgang mit Pflug und Schwert, den Fischfang und neue, einträglichere Jagdmethoden beibrachten. Die Umgebung wurde zum baierischen Modelltal und seine Deutschheit ist bis heute unbestritten Auch Herzog Odilos Prophezeiung, das Streben nach Deutschheit würde schon bald auf ganz Kärnten übergreifen erfüllte sich.

Beinahe hätte ein blöder Nachfolgeherzog namens Tassilo die deutsche Sache im achten Jahrhundert vermasselt. Wahrscheinlich hat bei ihm artfremdes Blut (fast sicher slawisches) durchgeschlagen. Jedenfalls widersetzte sich dieser Subversivgermane dem Plan Kaiser Karls des Großen, sämtliche deutsche Stämme unter einer Krone und einem Zepter zu vereinigen. Tassilo selbst (hierin ein typischer Baier in Blutunion mit einem eingedeutschten Slawen), bildete sich ein, deutscher als die Deutschen zu sein. Daraufhin wurde er von Karl dem Großen auf dem Reichstag zu Ingolstadt kurzerhand abgesetzt. An Tassilo erinnert heute nichts mehr. Karl der Große hingegen, den die Franzosen in ihrer Gier nach deutschem Blut als Franzosen reklamieren, hat einen unverrückbaren Platz in den deutschen Umgebungsseelen.

Aus einer extraterritorialen Sicht betrachtet, ist Karls Platz in diversen Seelen allerdings höchst verrückbar. Die Salzburger behaupten, er säße mit einer Schar auserlesener Recken und Höflinge im Untersberg und schnarche dort dem Jüngsten Tag und seiner Re-Inthronisierung als Kaiser aller Deutschen entgegen. Schon sei sein weißer Bart derart lang, dass er ihn sich dreimal um den Leib wickeln könnte, würde er aufwachen. Der Bart müsse aber noch weiterwachsen, bis er je einen Meter pro deutschem Stamm messe, und das könne noch Jahrtausende dauern. Die Steirer lassen Karl im Dachstein sitzen und warten, die Tiroler im Wilden Kaiser (wobei manche Tiroler behaupten, der Wilde Kaiser-Kaiser sei Maximilian). Bei den Franzosen schlummert er im Montblanc und wird von manchen als Napoleon Bonaparte ausgegeben. Als seriöser deutscher Erzähler bin ich überzeugt, dass sein wirklicher Schlummerberg in der Umgebung steht. Kaiserschloss heißt dieser Berg, und dort wird Karl der Große am Jüngsten Tag aufwachen, sich rasieren lassen und die Herrschaft über die ganze, zum Deutschtum bekehrte E.U. übernehmen.

Nochmals sei an dieser Stelle die intrinsische Deutscheit der Umgebung hervorgehoben, an deren slawische Wurzel nur noch die Art und Weise erinnert, auf welche man in der Umgebung die Worte „deutsch“, „Deutscher“ und Deutsche“ ausspricht: Sie klingen wie „Dejic“, „Dejica“ und Dejice“.



Aus dem SISYPHUS Verlagsprogramm mit freundlicher Genehmigung des Autors

LUDWIG ROMAN FLEISCHER: "DORF DER SEELE"
Erzählungen aus der Kärntner Umgebung

Seite 13 - 15
133 Seiten, brosch. 13 x 20 cm
ISBN: 3-901960-30-9
Preis: Euro 14.- / SFR 21.-

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