2005-06-30
Herzjesuwochen
von shizo 7schläfer
Ein Abend, ein Apfel und Katharina. Ich bitte sie mir ein Herzjesu in die Brust zu sticken. Sie wühlt in ihrer Handarbeitstasche aus transparentem Kunststoff. Man sieht übereinander rote, blaue und falschgoldene Wollkugeln liegen, Stricknadeln und ein kleines Nähnesessaire dazwischen. Sie zischt wie eine Katze, die man im Jutesack unter Wasser taucht. Sie hat sich in den Daumen gestochen und blutet. Sie reibt ihn am Zeigefinger und verschmiert das Blut auf beiden Fingerkuppen. Sie greift achtsam, um nicht das Strickstück mit dem eigenen Blut zu ruinieren, nach der Tageszeitung am Tisch und reißt ein Stück vom ersten Blatt ab. „Ich habe Jesus gekillt“ flüstert sie mir leise zu und lächelt so lieb sie kann.
„Beten sie oft das Glaubensbekenntnis?“, fragt mich die alte Bauerntochter im Stationsgarten. Das spacig blaue Zeldox hat mir den Mund ausgetrocknet. Ich will ihr antworten, aber sie ist mit ihren Gedanken schon an einem anderen Ort und läuft eilig weg. Die Schwester hat die ganze Zeit ein Auge auf sie gehabt und fängt sie ein, nimmt sie am Arm und führt sie nach drinnen. Sie bleibt dort am Tisch sitzen und murmelt leise die Psalme, die man ihr eingeredet hat, wie sie sagt. „Der Herr ist mein Hirte. Ich werde keinen Mangel haben. Wie geht das noch weiter, zum Teufel !“ Ihre Haut ist unwahrscheinlich glatt, trotz ihres hohen Alters und ihre langen weißschmutzigen Haare hat sie sich am Hinterkopf streng zu einem festen Knoten gebunden. Meine Zunge klebt im Mundinneren fest.
„Hast du mir die Schokolade mitgebracht ?“, sie verdreht den langen Hals, schaut neben mir vorbei zur Türe hin, die muss nach dem Mittagessen offen bleiben. Sie zieht mit den bleistiftdünnen Fingern ihrer rechten Hand die Lade aus dem kleinen mobilen Beistellkasten. Die Oberfläche ist mit einer Orangenhaut aus Kunststoff überzogen. Sie verdreht den Oberkörper und schlichtet den Inhalt neu, schlägt ein Nachthemd um und versteckt die mitgebrachten fünf Tafeln zwischen Nachthemd und Handtuch. Sie bittet mich für sie ins Bad zu gehen und ihr den gelben Kunststoffwasserbecher aufzufüllen. Sie hat Durst. Ich gehe durch den Sechsbettenraum zum Badezimmer und fülle ihr den Becher bis zum Rand. Ich schenke ihr voll ein und stelle es neben das Bett auf das Tischchen. Sie trinkt gierig und die Muskelbewegungen zeichnen sich deutlich am glattgespannten Hals ab. Sie stellt den Becher zurück und seufzt, vom trinken erschöpft.
„Wenn ich das nächste Mal komme, dann bringe ich dir wieder Schokolade mit, wenn du möchtest.“ Sie bittet mich noch die Schwester zu rufen, wenn ich aus dem Zimmer bin. Sie behauptet der Magnetgürtel sei ihr zu fest um die Taille gezurrt.
„Das kennen sie sicher aus dem Fernsehen, das muss ich sicher nicht erklären.“ Sagt er und grinst. Ich sehe eine Fut. „Ich sehe eine Vagina, ganz eindeutig. Da sind krause Haare.“, Er notiert, schaut die Tafel kurz an zeigt sie mir erneut und bittet mich, ihm zu zeigen, wo sich die Vagina im Bild genau befinde. Er legt die Tafel vor mich hin. „Da, sehen sie, der Schlitz, die Haare, aber da ist ja noch eine Vagina und das Rote da, das könnte Menstruationsblut sein.“ „Also eine Doppelvagina?“, fragt er und ich füge hinzu „Ja, mit Reißverschluß, da !.“ Er notiert.
„Aufstehen “ raunt mir die Schwester zu. Ich öffne die Augen, drehe mich zu ihr hin, richte mich ein wenig auf, knurre schließlich ein halbverständliches „Morgen !“ und gebe vor, das ich aufgeweckt bin. Sie weckt den Shizophrenen hinter der Trennwand aus Holz. „Morgen, sie gehen ja jetzt zur Massage, oder gehen sie Laufen? schauen sie bitte im Therapieplan nach und holen sie bevor sie rausgehen draußen bei mir ihre Medikamente.“ Ich lege mich wieder zur Seite. Der Shizophrene geht ins Bad. Ich höre das Wasser aus dem Duschkopf spritzen. Ich halte Minutenschlaf. Die Schwesternschülerin tritt neben das Bett „Kommen sie bitte ihre Medikamente holen. Frühstück ist auch schon da.“ Ich stehe aus dem Bett auf, ziehe mir eine Jeanshose über und gehe nach draußen auf den Gang. Die diensthabende Psychiatrieschwester sitzt mit einer allzu fröhlichen Patientin in der großen Sitzgruppe am Gang. Sie hat das Kunstsstofftablett neben sich am Sessel abgelegt. “Wollen sie ihre Medikamente?“ , fragt sie mich. Sie sucht die mit meinem Namensetikett markierte Kunsstoffdose. Ich strecke die Hand aus. „Gut geschlafen ? “ fragt mich der manische Sonnenschein neben ihr. „Ja, gut geschlafen.“ antworte ich.