2005-06-15
KAC- VSV Teil I
Im Irrenhaus Samonig
Ah sehen sie nur, die Klagenfurter Athlethiker haben ihre stärkste Formation auf Eis gebracht, in der Abwehr die sogenannte Oder-Neiße-Linie Tieffenthal und Von Mohrenschild, und im Angriff der gefürchtete sogenannte Lubliner Sturm, Lerch Globocnik Pohl, Sie müssen wissen, alle fünf haben früher in Lublin gespielt, und später im adriatischen Küstenland, ein kurzes Gastspiel die polnische Liga hat damals als die härteste der Welt gegolten, Lublin hat immer an zweiter Stelle, hinter Auschwitz, rangiert, auch im Dreß der Klagenfurter hat dieser Blick die Innsbrucker vom Eis geschossen, die Lustenauer hingerichtet, die Feldkircher vernichtet... Was sagen Sie, so nicht? So aber wohl! Diese Geschmacklosigkeit leiste ich mir immer an dieser Stelle... Bis auf Globocnik, einen Triestiner, lauter Klagenfurter die in der Fremde ihr Glück gemacht haben... Aber die Blauweißen haben wirklich früher im Schulhof die Meisterschaft ausgerichtet, ihre Heimspiel ausgetragen in der höchsten Spielklasse, wie sich versteht... Allerdings waren die Eisverhältnisse damals andere als heute, wird das Spiel überhaupt stattfinden, wird gespielt, wird nicht gespielt werden können das war früher eine noch spannendere Frage als die nach Verlauf und Ausgang des Spieles; wird, bei starkem, den Tag über währendem Schneetreiben - auch die Winter sind damals naturgemäß andere gewesen als heute – die Eisfläche rechtzeitig und hinreichend vom Schnee freigemacht worden sein, werden genug Schneeschaufler und Schneeschieber zur Verfügung stehen, wird der Schneefall in den Abendstunden nachlassen, oder wird das dichte Schneetreiben auch das Spiellangsam einschneien, das Spielgeschehen zuschneien, unmöglich machen... Wird abgebrochen werden müssen, wird, trotzt der erschienenen Zuschauer, das Spiel wegen irregulärer Bedingungen abgebrochen oder nicht, das waren damals die Fragen, Sie sehen, für Spannung war gesorgt... Oder, gegen Ende der Meisterschaft, Ende Februar, im Falle plötzlicher Warmluftzufuhr, jähen Föhneinbruchs, wiederum die Frage: Wird gespielt werden können, wird, falls doch, irgendwann abgebrochen werden müssen, weil wie einmal gegen die Roten Teufel aus Kitzbühel – ich nenne Jöchl und Bachler – geschehen, das Eis so stumpf ist, dass die Kufen der Schlittschuhe darin stecken bleiben, oder überhaupt Wasser auf dem Eis steh. – Oh, sehen Sie, hier Gallahad, Kid Gallahad, wie kühn er beim Angriff in der Kurve liegt, hinter dem Tor, erste Güte... Und da, zwei sind aneinander geraten an der Bande, ja, das Eishockey...Festlich erleuchtet der eisglänzende Schulhof... Jetzt Querpaß, einmal, nach Abschluß der Meisterschaft, nach einem, nichtsdestotrotz, neuerlichen Wintereinbruch Anfang März, war der Schulhof auch Ort einer grandiosen, zunächst anonymen Kunstübung, wie ich es nenne; jemand, freilich bald ausgeforscht, ein Bub, von dem es hieß, er wäre im Kopf nicht ganz richtig, hatte in mühevoller Arbeit – viele Schritte mussten nötig gewesen sein – ein, damals schon gar, unanssprechliches Wort in den Neuschnee getreten, drei Überdimensionale Buchstaben über den ganzen Schulhof, das Wort FUT ... Schriebe ich meine Autobiographie, diese Episode, dieses Kunststück würde gewiß Erwähnung finden, aber es ist ja keiner interessiert, der Deutsche Taschenbuchverlag: Nicht, Rowohlts Rotations Romane: Auch nichts, und der Droschl-Verlag, der Droschl-Verlag, der Droschl-Verlag, der – Was ist jetzt? Nicht möglich, er hat ihn niederschlagen, der Klagenfuther, weinrote Athletiker den Blauweißen, wer ist es, Walker, nein Wilson, Wilson ist es, die Wiederholung zeigt es genau, Wilson hat dem Klagenfurter etwas ins Ohr gesagt – wie er sich hineinsteigert, großartig! -, etwas über dessen Frau, dass sie nämlich – einen Augenblick, ah, hier, ganz deutlich ist es zu hören – dass sie nämlich sich auf ihn, den anderen, den Beihirsch gesetzt und er sie geschleckt hätte, der Nebenbuhler; und da!, der Unsympathische – wie lange es dauert, bis er verstanden hat! – schlägt wie wild geworden auf den Kanadier ein, die Schiedsrichter stürmen herbei und versuchen, den rasenden Athletiker zu bändigen und abzuführen, er wird ausgeschlossen, wie er sich hineingesteigert hat, widerlich! – Das Spiel geht weiter, die anderen jetzt nicht nur im Können, sondern auch zahlenmäßig unterlegen, numerisch geschwächt, Powerplay gegen Penalty killing, wie wir Fachleute sagen... Wen wird Gauleiter Rainer jetzt – nein, warten Sie Demetz, Peter Demetz heißt der neue starke Mann auf der Klagenfurter Betreuerbank, er soll früher in Nordamerika in der Collegemannschaft eines Bestattungsinstitutes tätig gewesen sein, wen also wird er einsetzen, das wäre interessant zu erfahren, er kann ja nicht unentwegt mit dem Lubliner Block operieren, freilich er könnte noch andere polnische Legionäre aufbeiten, passable Schützen, Kopeinig Alois, Susitti Albert... Aha, er schickt Ransmayr, Gothe, Puccini aufs Eis... Gothe, richtig, nicht was Sie denken, ein Legionär aus Grönland, wenngleich er einmal für den Weimarer Schlittschuhclub gespielt hat... Puccini, ein sogenannter Italo-Kanadier... Ransmayr, ein Nachwuchsstürmer, ein kaum beschriebenes Blatt, zwei Einsätze bisher, aber viel zu umständlich im Aufbau... Das ist nicht möglich! Wilson liegt ja immer noch auf dem Eis, er hat das Gesicht abgewandt, er krümmt sich vor – wovor, wird sich zeigen, ein Klagenfurter hat sich zu ihm hinabgebeugt und spricht zu ihm, er scheint sehr besorgt zu sein um Wilson, der es auf etliche Berufungen in College-Team des Internationalen Dialektinstituts gebracht hat, ob er helfen könne, scheint er zu sagen, während der Kanadier, hier, sehen Sie nur, sich den Bauch hält vor - vor was, muß offengelassen werden, es wird sich herausstellen; dass er sich schäme für die Unsportlichkeit seines Kameraden, wie wird das wiedergutzumachen sein, scheint er zu sagen, sagt er aber nicht!, der Unsympathische, hier, die Aufnahme beweist es, die Wiederholung, der Unsympathische sagt etwas ganz anderes, er flüstert nämlich dem Sympathischen ins Ohr: Was heißt Fut auf Kisuheli? Haben Sie gehört, er versucht ein Revanchefoul, der Drecksklagenfurter, er beugt sich über den Blauweißen und flötet: Internationales Dialektinstitut – bitte warten... Und jetzt, deutlich zu sehen, sehen Sie: Internationales Dialektinstitut – Futh am Apparat... Unerhört, er will Wilson, nein Walker ist es Walker mit der Nummer 23, er will Walker aus der Deckung locken, zu einer Unvorsichtigkeit verleiten, aber der tut nichts dergleichen, er scheint den Witz zu kennen, die Geschichte vom Masochisten und vom Sadisten: Schlag mich! Nein...! Und sehen Sie nur, der Weinrote wird immer dreister, widerlich, wie er sich hineinsteigert, wer ist es überhaupt?, egal, die Klagenfurter sind alle gleich, Internationales Schleckinstitut, zischt er, haben Sie gehört, und jetzt gar: Confiserie Preinsack, ein Schlag unter die Gürtellinie, schmutzigstes Eishockey, pfui, und nochmals pfui! Sehen Sie nur, wie Walter sich den Bau hält, wie er sich krümmt – Großartig, wie er sich hineinsteigert! Jetzt kann er nicht mehr -, wie er sich krümmt vor Lachen...! Haha, wie blöde er dreinschaut, der andere, wie verwirrt, er scheint nicht im Bilde zu sein, bevor er weggezerrt wird, lassen muß von seinem lachenden Opfer, vom lachenden Vagabunden... Was für ein Spiel, welch ein Endspiel! Da, und da, und jetzt, wie die Hartgummischeibe wandert, von hier nach dort, von hüben nach drüben, von hinten nach vorne, von Ost nach West, von Hein zu Heine, von Heine zu Heiner... da!, plötzlich aufgetaucht ist er, Newton, Bill Newton, plötzlich aufgetaucht vor dem Schreibtisch, dem Drahtkasten, dem Gehäuse – und jetzt hinter dem Gehäuse, dem Drahtkasten, dem Schreibtisch, und um den Schreibtisch herum, und schon wieder den gegnerischen Torhüter verladen, wie in Deutschland gesagt wird, obwohl es sich um ein sogenanntes Steirergoal gehandelt hat...
Aus
Werner Kofler
"Der Hirt auf dem Felsen - Zweite Abteilung: Im Irrenhaus Samonig", Seite 68 bis 72
Mit freudlicher Genehmigung des Autors
Werner Kofler
Der Hirt auf dem Felsen
Rowohlt, 1991
ISBN: 3 498 034766