2005-05-24
Welche Bildung braucht der Mensch?
Der vorliegende Beitrag ist eine Reaktion auf den Artikel
Welche Bildung braucht der Mensch?. Der Transfer des Textes auf den redaktionellen Bereich von kärnöl wurde von der Autorin genehmigt:
Die Aussagen von Herrn Ribolits sind auf einer so allgemeinen abstrakten Ebene angesiedelt, dass sie richtig und falsch zugleich sind. Kritik und Aussagen dieser Art tun niemandem weh, wer sie äußert, legt es sich mit niemanden an, muss nicht in eine Auseinandersetzung mit konkreten Repräsentanten und Entscheidungsträgern der kritisierten Entwicklungen und Zustände eintreten und die den Kapitalisten dienenden Regelungen benennen.
Zum Beispiel ‚Bildung’: „Der Mensch ist grundsätzlich frei, … der Mensch entscheidet selbst, ob und in welcher Form er sein Wissen verwenden will. … Bildung ist das Heraustreten des Menschen aus der Sphäre des bloßen Nutzens. …der Mensch, der sich in der Neuzeit von der Vorstellung emanzipiert hatte, dass sein Leben durch höhere Mächte bestimmt sei, … Bildung und Qualifizierung stehen zueinander gewissermaßen im selben Verhältnis wie Liebe und Sexualität. „.“
Ich frage: Ist das so? Von welchen freien Menschen ist die Rede? Können zum Beispiel junge Menschen, deren Eltern ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren können, nach abgeschlossenem Studium frei entscheiden, wie sie ihr Wissen verwenden wollen? Kann eine Frau, die Kinder versorgen muss, Ort und Art ihres beruflichen Tätigkeitsfeldes frei entscheiden? Gibt es ‚den allgemeinen Menschen’? Über welche Voraussetzungen müssen Menschen in unserer Gesellschaft verfügen, damit das Gesagte zutrifft?
Stehen einander der Nutzen der Ökonomie und Bildung tatsachlich scharf abgetrennt gegenüber? Wie steht es mit den Wechselbeziehungen von ökonomischem, sozialem, kulturellen und symbolischem Kapital (Pierre Bourdieu)? Welcher Mensch, besser welche Menschen hatten sich emanzipiert? Die humanistisch Gebildeten beim Papst-Event? Schließt das Wissen der Gebildeten „über die umgebende Welt“ auch qualifiziertes, ökonomisches Wissen ein? Zum Beispiel über irreführende grundlegende Annahmen der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspraxis? Oder wollen oder sollen sich die Gebildeten nicht in die Niederungen der Sphäre des Nutzens begeben und konkrete Maßnahmen in der Steuergesetzgebung, in der staatlichen Familienförderung usw. in Hinblick auf Freiheit oder bescheidener gesagt verengte oder erweiterte Freiräume öffentlich zur Diskussion stellen? Und aktuell: Was bedeuten diese Aussagen im Hinblick auf „eine angemessene Differenzierung“?
Helga Hieden-Sommer