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2005-04-28 Dekonstruktion eines Zitats Aus gegebenem Anlass sei mir erlaubt, Ihre Aufmerksamkeit ein weiteres Mal auf die "kapitalismuskritischen" Äußerungen des deutschen SPD-Chefs Franz Müntefehring zu richten. Seine zentralen Aussagen können ganz einfach nicht unkommentiert bleiben, führen sie doch exemplarisch vor Augen, wie problematisch es ist, wenn sogenannte Kapitalismuskritik ihrerseits aus einer tief verinnerlichten bürgerlichen Kapitallogik heraus entwickelt wird. In einem Interview im deutschen Wochenblatt BILD am SONNTAG sagt Müntefering ja wörtlich: "Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir." Es ist übrigens interessant zu beobachten, dass nicht einmal Oscar Lafontaine ein Problem damit hat, den sprachlichen Ball Münteferings aufzunehmen. So sagte er in der Sendung "Im Dialog" im deutschen Sender Phoenix wörtlich: "Um im Bild zu bleiben: Nicht nur Heuschrecken fallen über Unternehmen her und kümmern sich nicht darum, was mit den Arbeitnehmern passiert. Sondern es sind auch Heuschrecken über den Sozialstaat hergefallen und haben ihn demoliert. Da gibt es Heuschrecken mit prominenten Namen, die heißen Franz, Gerhard und Ute." So weit die Zitate. Es muss wohl nicht extra erwähnt werden, dass hier nicht zum ersten Mal ein (deutscher) Politiker Menschen mit Insekten vergleicht. Gerade im unsäglichen Gedankenjahr 2005 mit all seinen Gudenussen und Kampln fällt so ein Vergleich besonders ins Auge. Aber eine weitere, oberflächliche Schelte für die mißglückte Wortwahl mit anschließender Entschuldigung und Relativierung des Gesagten ist hier wie dort das gefährlichste, passiert in solchen Fällen aber leider immer auf's Neue. Demgegenüber werde ich hier nachweisen, dass die Insektenmetapher für Menschen auf eine mysteriöse Art und Weise und daher mit beängstigenden Auswirkungen korrekt ist. Adolf Hitlers Ungeziefer- bzw. Bakterienmetapher anfangs für das "internationale Finanzjudentum" und bald danach für alle jüdischen Bürger Deutschlands genauso wie Franz Josef Straußens Ratten- und Schmeißfliegenmetapher für Journalisten bzw. linke Intellektuelle am Anfang der 80er Jahre. Natürlich wird der gutmenschliche Einwand gegen eine solche Ansage jetzt lauten, man könne Müntefering und Lafontaine doch nicht so einfach mit Franz Josef Strauß und schon gar nicht mit Adolf Hitler vergleichen. Sie bedienten sich hier einfach einer deutlichen Sprache, die von den Menschen gerade in dem von Arbeitslosigkeit geschüttelten Deutschland klar verstanden werde. Und damit würde es ihnen auch gelingen, ihre kapitalismuskritische Botschaft wesentlich erfolgreicher zu transportieren, als mit irgendwelchen strukturanalytischen Betrachtungen. Diesem Einwand könnte man nun in der Tat auf den ersten Blick einiges abgewinnen, würde man nicht sofort die Gegenfrage stellen: Welche Botschaft genau wird denn hier mit einer solchen Sprache transportiert? Die Antwort darauf ist dann allerdings ernüchternd: Kein Funke von Kapitalismuskritik erreicht hier die Menschen. Was hier transportiert wird, ist die Entmenschlichung einer konkret identifizierbaren Gruppe von Leuten, deren Namen Jürgen Schremp oder Josef Ackermann lauten oder Menschen, deren Beruf (oder schlicht nur Interesse) es ist, Finanzkapitalien auf internationalen Märkten zu verwerten. Sie alle sind plötzlich keine Menschen mehr. Das sind dann die Heuschrecken! Wenn schon nicht für Müntefering selbst (der muss ja auch in Zukunft noch mit ihnen verhandeln), so doch für den Großteil seiner Zuhörerschaft. Nun möchte ich hier natürlich nicht in den Verdacht kommen, dass ich die eben angeprochene Gruppe von Menschen (übrigens fast ausschließlich Männer) für klasse Burschen halte, denen nichts mehr am Herzen liegt, als das Wohlergehen ihrer Arbeitnehmer im speziellen und ihrer Mitmenschen im allgemeinen. So weit kommt's noch! Aber eines steht fest: Im Wesentlichen befinden sich diese eiskalten Zyniker auf legalem Boden. Und genau das ist die Falle, in die hier Müntefering die Menschen mit seiner Ansage treibt. Und es ist genau jene Falle, in die jede bürgerlich-demokratische Kapitalismuskritik zwangsläufig tappen muss. Wenn nämlich ein von der UNO menschrechtlich und vom Staat verfassungsmäßig garantiertes Recht auf unlimitiertes Eigentum von demokratischen Bürgern, die in der Wahl (und Abwahl) ihrer Arbeitnehmer völlige Freiheit genießen (und auch genießen wollen), auf legale Weise in Anspruch genommen wird, dann sind es nicht diese Bürger – und seien es noch so verachtenswerte Zyniker -, die sich fehl verhalten und für die Folgen dieses Verhaltens die Verantwortung übernehmen müssen. Nein! Denn sie machen ja genau das, wozu sie (nebenbei bemerkt) steuer- und sozialrechtlich auch noch freundlichst aufgefordert werden. Wie aus dem Nichts taucht hier vor Müntefering die insektoide Fratze jener "anonymen" und "gesichtslosen" Kauf- und Verkaufsmaschine auf, auf die wir alle in unseren bürgerlich-demokratischen Verfassungen herunterreduziert sind. Auf abstrakte, weil aller empirisch wahrnehmbaren, konkreten Unterschiede beraubte Rechtssubjekte, deren gesellschaftsrelevante Interaktion - (staats)vertraglich verpfichtend - ausschließlich als Abfolge von Warentauschakten definiert ist. Dieser Umstand wird von uns allen im Alltag nur allzu gerne übersehen. Herren wie Schremp, Ackermann und Co. geben aber immer häufiger eine klar umrissene Vorstellung vom wahren und konkretisierbaren Potential des abstrakten bürgerlichen Rechtssubjekts. Was Müntefering also mit Insekten vergleicht, ist nichts anderes als sein eigenes Spiegelbild. Das Spiegelbild eines freien, demokratischen Bürgers mit all seinen fremdbestimmten weil verfassungsmäßig verbrieften Rechten auf unlimitiertes Eigentum und grenzenlose, marktradikale Freiheiten, dessen selbstbestimmte Vergesellschaftung allerdings unter allen Umständen zu verhindern ist. Dieser Bürger, dieses abstrakte, weil zusammengekürzte Rudiment eines Menschen erscheint also ganz folgerichtig als Insekt, als Inbegriff des Widerlichen, des Auszurottenden. Das ist die angesprochene, mysteriöse Art und Weise, auf die die Instektenmetapher sich als korrekt erweist. Aber wie in der Ausstellung entarteter Kunst im München des Jahres 1933 bereits die Nazis und Anfang der 80er Jahre der barocke F. J. Strauß, zielt hier schon wieder einmal jemand nur auf das Abstrakte. Und wieder einmal geht es daneben, denn er trifft das Konkrete. Auf konkrete Menschen. Wann werden wir begreifen, dass das Abstrakte nicht über das Konkrete bekämpft werden kann, ja gar nicht werden muss, sondern dass es der Prozess der Abstraktion selbst ist, der an der Quelle der bürgerlichen Demokratie seine unheilvolle Wirkkraft entwickelt? Literatur:
erika, 2005-04-28, Nr. 1914 lst,
Walther, 2005-04-29, Nr. 1916 Lieber Stephan, danke auch für diesen 2. Beitrag zum Thema "Kapitalismuskritik, die keine ist".
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