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2005-04-13

Den Blick hinrichten

In seinen Erinnerungen berichtet der Kärntner Slowene Franc Lienhard von einem Gefängnisaufenthalt in Klagenfurt. Damals, im Herbst 1944, habe er in einer mit 70 Mann belegten Zelle auch den ehemaligen Wehrmachtssoldaten Josef Logar kennen gelernt. „Sie werden es nicht wagen, mir etwas anzutun“, hatte dieser zu Lienhard gesagt. „Ich habe nichts dazu gesagt“, erzählt der Ex-Häftling, „aber ich habe gewusst, dass sie es machen würden.“ Er behielt recht. Josef Logar wurde am 7. April am Feliferhof in der Nähe von Graz erschossen. Im Januar war er vom dortigen Oberlandesgericht wegen Hochverrats und Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt worden. Am Feliferhof wurden zwischen 1941 und 1945 zahlreiche Todesurteile vollstreckt.

Die Hinrichtung seines Großvaters nahm der in Klagenfurt geborene Kärntner Künstler Ernst Logar zum Anlass für eine fast drei Jahre dauernde Recherche. Die bis heute nicht abgeschlossene Suche nach den genauen Todesumständen hat Logar in einer Rauminstallation umgesetzt. Genauer gesagt: in drei Installationen. Die dritte Fassung seiner Arbeit „Den Blick hinrichten“ wird nun in der Galerie Freihausgasse in Villach gezeigt. Im Keller der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, an der Logar studiert hat, war 2004 die erste Version zu sehen. In dem abgedunkelten Gang, der durch eine zerschossene Glasscheibe halbiert war, sollte ein Eindruck von der Situation der Hinrichtung vermittelt werden. Daneben waren die Dokumente einzusehen, die der Künstler zum Tathergang gesammelt hatte. Damit war Logars Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen aber keineswegs abgeschlossen. Im Gegenteil. Aber, so Logar, „eine Hinrichtung findet ja nur einmal statt“. Als Träger des Preises der Kunsthalle Wien legte er deshalb in der dortigen, zweiten Ausstellung den Schwerpunkt auf die Folgen der Erschießung. Wie über die Taten der Nazis in deren Familien wurde auch über den Widerstand des Großvaters nicht gesprochen. Das Verschweigen innerhalb der Familie hat psychische Auswirkungen bis in die dritte Generation. Darauf will der Künstler hinweisen. „Den Blick hinrichten“ ist insofern also als Aufforderung gemeint, sich diese Effekte zu vergegenwärtigen. Der Titel verweist aber zugleich auf das Auslöschen des Blicks durch die Tötung selbst. (Der Blick des Hingerichteten wird durch das Verbinden der Augen bekanntlich ja schon vor der Hinrichtung entschärft. Denn, wie der Philosoph Emmanuel Lévinas geschrieben hat, es ist tatsächlich schwerer jemanden zu töten, der einen anblickt).

In der jetzt in Villach gezeigten, dritten Fassung der Installation entfaltet sich eine weitere Dimension des Titels: Der Blick derjenigen, die hingesehen haben, der Augenzeugen. Logar versammelt in einem Video verschiedene Aussagen von Zeitzeugen. Allesamt sind sie Partisanen gewesen. Und gefilmt hat er sie in Großaufnahme, so dass nur das Entscheidende den Bildschirm ausfüllt: der Augenblick. Im Kellergeschoss der Galerie steht hinter einer Wand der kleine Fernseher, vor dem der Betrachter sich auf fast intime Weise mit der Zeitgeschichte konfrontieren kann.

Nach der Betonung der Hinrichtungssituation und der persönlichen und familiären Auswirkungen stellt Logar nun die gesellschaftlichen Ausmaße des Geschehens in den Mittelpunkt. Schon seit 1942 hatten Partisanen – zumeist Kärntner Slowenen, aber auch einige deutschsprachige Österreicher – in Südkärnten gegen die Wehrmacht gekämpft. Zeitweise banden sie dort 15.000 Wehrmachtssoldaten. Ein bewaffneter Widerstand, der in diesem Ausmaß auf dem Boden des damaligen Deutschen Reiches sicherlich einzigartig war. Josef Logar, der Großvater, hatte mit Kärntner Partisanen zusammengearbeitet und ihnen Kasernenpläne zukommen lassen. Mit Leuten wie ihm haderten die Nazis nicht lange. Rund 1000 Kärnter wurden bis Kriegsende als so genannte Freischärler oder als deren Unterstützer von Wehrmacht und SS erschossen oder enthauptet. Bis heute ist wird ihr Widerstand in Österreich nicht anerkannt, in den Schulbüchern kommen die Partisanen nicht vor. Auch als der Nationalrat im vergangenen Jänner anlässlich der 60. Jahrestags des Kriegsendes offiziell dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus gedachte, würdigte man sie nicht.

Die Kunst fordert hier also eine gesellschaftliche Debatte ein. Mit seiner Installation steht Ernst Logar diesbezüglich auch kunsthistorisch in guter Tradition. International renommierte Konzeptkünstler wie Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz oder Hans Haacke haben sich in den letzten Jahren immer wieder dem Nationalsozialismus gewidmet. Nicht selten haben sie damit auch für öffentliches Aufsehen gesorgt. So hatte Haacke beispielsweise 1988 in Graz das Mariendenkmal am Eisernen Tor so verkleidet, wie es die Nazis im Juli 1938 getan hatten. Damals feierten sie den von Hitler an Graz verliehenen Titel „Stadt der Volkserhebung“. Der Originalverkleidung hatte der New Yorker Künstler nur die Zahlen der jeweiligen Opfer des Nationalsozialismus hinzugefügt. Ebenfalls den Opfern galt die künstlerische Arbeit „Die Gänse vom Feliferhof“ von Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz am heutigen Schießstand des Bundesheeres. Das Mahnmal in Form von vier zu hissenden Fahnen mit je einem antimilitaristischen Spruch wurde bis heute nicht verwirklicht, obwohl es bei einem vom Befehlshaber der Militärregion Graz 1995 ausgeschriebenen Wettbewerb ausgewählt worden war. Das Militärkommando Steiermark lehnte die Errichtung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung 1999 ab. Es sollte der Juden, Widerstandskämpfern, Partisanen, sowjetischen Kriegsgefangenen und anderer Gedenken, die an dem Ort ermordet wurden, der auch zur Hinrichtungsstätte Josef Logars wurde.

„Den Blick hinrichten“ schließt aber nicht nur an konfrontative konzeptuelle Kunst im allgemeinen, sondern auch an die eigenen Arbeiten von Ernst Logar an. Mit dem Blick hat der 1965 geborene Künstler sich bereits 2001 beschäftigt. Damals filmte er in sich versunkene, ins Leere schauende Menschen in den U-Bahnen von London und Paris. Und stahl ihnen damit den nach Innen gerichteten Blick. In seiner Foto-Serie „Fremde Orte“ hatte Logar verschiedene Räume aufgesucht, die von politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Bedeutung, aber – oder eben deshalb – sehr schwer zugänglich sind. So entstanden z.B. „Porträts“ des Haupttresorraumes der österreichischen Nationalbank oder des Waffenlagers der österreichischen Bundespolizei.

Auch der Feliferhof ist letztlich so ein fremder Ort. Wer den Blick auf etwas richtet, macht sich damit vertraut.

Jens Kastner

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