2005-02-07
Jobchance steigt mit längerer Pflichtschule?
Reaktion von Walther Schütz auf einen Profil-Artikel
Schulreform:
Jobchance steigt mit längerer Pflichtschule
(Die Presse) 03.02.2005
Jugendliche, die nur die derzeitige Schulpflicht erfüllen, sind sechs Mal
häufiger arbeitslos, so AMS-Expertin Hofstätter.
WIEN (pö). "Für anspruchsvollere Lehrberufe wie Buchhändler oder Optiker
wählen die Arbeitgeber schon jetzt eher Bewerber, die zwei oder drei Jahre
in einer weiterführenden Schule waren", sagt Maria Hofstätter von der
Forschungsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich: "Jugendliche,
die nur die Schulpflicht erfüllen, haben ein sechs Mal so hohes Risiko,
arbeitslos zu sein."
Statt 15-Jährige auf den Arbeitsmarkt zu lassen oder in die
Arbeitslosigkeit zu entlassen, hält Hofstätter eine Verlängerung der Schulpflicht auf
mindestens zehn Jahre für diskussionswürdig: "Die nordischen Länder oder
auch Portugal haben gute Erfahrungen damit gemacht." Günther Haider,
Österreich-Verantwortlicher für die Pisa-Studie und Leiter der
"Zukunftskommission", hatte zuletzt eine Ausdehnung von neun auf zwölf
Jahre vorgeschlagen.
Mit einer Verlängerung der Pflichtschule müsse aber auch ihr Abschluss
aufgewertet werden, fordert Hofstätter. "Derzeit ist es ja so, dass man
nach der Unterstufe an einer Hauptschule an eine weiterführende Schule oder mit
der Matura an die Uni gehen kann - aber wozu berechtigt schon ein
Abschluss der Polytechnischen Schulen?" Dieser sei auf dem Arbeitsmarkt nicht
anerkannt.
Um den Jugendlichen bessere Perspektiven zu bieten, müssten die
Polytechnischen Schulen stärker ins Schulsystem integriert oder von einer
gemeinsamen Schule abgelöst werden, sagt die AMS-Expertin: "Die Unterstufe
sollte neu aufgesetzt und auf fünf Jahre Pflichtschule verlängert werden."
Die Oberstufe könnte stattdessen über drei Schulstufen geführt werden,
meint Hofstätter.
Meine zentralen Gegenthesen lauten:
1 Wenn man wie im Artikel die Arbeitslosigkeit unmittelbar mit der
mangelnden Eignung der Erwerbslosen in Verbindung bringt, dann ist man schon
in die "Qualifikationsfalle" getappt - den Arbeitslosen wird die
Verantwortung für die Arbeitsmarktprobleme zugebeutelt. Dass sich in Zeiten
eines unglaublichen Überangebotes an Arbeitskräften die Unternehmen
natürlich die aus ihrer Sicht besser Qualifizierten herauspicken, ist ja
wohl logisch - no na net
2 Qualifikationsmaßnahmen können allerdings eines tun: Sie können eine
Dynamisierung im Bereich der Erwerbslosen bewirken und so die Gefahr des
Festkrallens der Erwerbslosigkeit in einer bestimmten Menschengruppe
herabsetzen. Sie beseitigen aber NICHT das Grundproblem.
3 Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in einer Situation des
Überangebotes durch Qualifikationsmaßnahmen beseitigen zu wollen ist
Ausdruck der international vorherrschenden angebotsorientierten
Wirtschaftspolitik, der in 2 Versionen auftritt, einer "sozialliberalen"
(nicht als parteipolitischen Terminus missverstehen") und einer
"neoliberalen": Mit dem Neoliberalismus der primitiven Art verbindet diese
"sozialliberale" Wirtschaftspolitik das Vertrauen in den Markt. Was den
Laissez-faire-Neoliberalismus von dieser sozialliberalen Version der
Angebotsorientierung unterscheidet ist lediglich die Annahme, dass man den
einzelnen Wirtschaftssubjekten auf die Sprünge helfen müsse. Insofern ist
dieser ach so gutmeinende Ansatz sogar noch ein bisschen totalitärer, als er
auf den Menschen noch umfassender zugreift!
4 Eine Verlängerung der Ausbildungszeit senkt die Arbeitslosigkeit nur
insofern, als einzelne Jahrgänge vom Arbeitsmarkt genommen werden. Ist ja
vielleicht auch was?