2004-11-23
Weihnachten im Entzug - Teil VI
Aus Gottfried Kemps Tagebuch
Sucht: der Zustand derer, die sich noch nicht gefunden haben. Aller also. Abgesehen von den Toten, aber die haben den Augenblick der Selbstfindung versäumt.
Sucht nach Bewegung. Sucht nach Sex. Sucht nach Leben. Habsucht. Sehnsucht. Geltungssucht. Gottsucht. Sucht nach den Grenzen, um sie zu überwinden. Aber da sind keine Grenzen. Eines Tages war man, und die Grenze des Beginnens lag bereits uneinsehbar hinter einem. Und die Grenze des Aufhörens vor einem, ebenso uneinsehbar. Dazwischen Sucht. Sucht von Anfang und Ende, Ursache und Wirkung. Das ist wohl da - wenn schon nicht ewige – so doch endlose Leben.
Ich habe es immer „Träumen“ genannt und es hat alle Funktionen des Träumens erfüllt: den Schlaf behütet, den Schmerz ausgeschaltet, der Illusion den Weg geebnet. Im Traum erlebte ich das Gestern, vergaß das Heute, ahnte das Morgen: einem wunderbaren Wahnsinn zu dankendes Sein ohne Pein. Typisch keine Träume mehr, jetzt, nach dem Auskotzen des Stoffes, aus dem die Träume waren. Jedenfalls: keine erinnerlichen, und was nicht erinnert wird, das ist nicht. Es gibt keine zweite Welt mehr. Ich bin nur noch da. Das ist die einzige Tatsache. Und sie bereitet mir Schmerz