2004-08-17
Die Psychographie eines Schreibers - Teil II
Karem von Zaumklink - Die Geschichte vom Demokratieverständnis
Beschmutzt und gedemütigt, gepeinigt durch die Demo¬kratie sind wir zu verführten, irregeleiteten Idioten geworden, die sich alles vorschreiben, anschaffen, beurkunden und bewilligen lassen müssen. Wir können uns kein Kämmerlein ausbauen unterm Dach, schon schnüffelt die Allmacht hinein und schreibt vor, welche Nägel, Schrauben, Hämmer, Platten, Messer, Zangen und Farben wir benützen dürfen. Wie hoch und wie breit das Kämmerlein sein darf, wie rötlich, schwärzlich, und bläulichbraun die Wände sein müssen, und mit welchem Gekrächzt der Fußboden zu knarren hat.
Erst seit wir zu Idioten geworden sind, nennt man uns wissende und denkende, ja, reife Bürger. Gepeinigt durch die Demokratie haben wir die Freiheit für immer verlo¬ren, weil uns vorgegaukelt wird, sie bereits zu besitzen, sagen die Leute.
Gepeinigt durch die Demo¬kratie, verlieren wir unser Hab und Gut. Unsere Schaffenskraft wird gemolken, unser Geist vergoren und viele alte Bürger hungern sich durch die letzten Lebensjahre. Mit dem Großteil ihrer erarbeiteten Pensionen müssen sie Kanalbauten bezahlen, die sie kaum noch benützen werden. Oder irrsinnige Waffengeschäfte hinnehmen.
Unser Leben wird ausgezehrt und ausgelaugt von pragmatisierten Vampiren, klagen die Bürger.
Wenn wir an der Rechtmäßigkeit der Beherrscher zwei¬feln, sagen diese, wir hätten sie als aufrechte Demokraten zu ihren Machenschaften berufen. Nach der Gesetzeslage werde alles von uns, dem Souverän, bestimmt.
Die Herrscherschicht ist ein riesiger Felsblock aus mehrfarbigem, lockeren Steinkonglomeraten. Teilweise von modischen Polituren verdeckt. Er bleibt aber immer der glei¬che, unverrückbar das Volk mit seinen Steinschlägen bedrohende, verwitterte Felsen, den man einst für eine neue Republik beseitigen wollte. Der Monolith Staat nannte sich nur eiligst Republik und alles blieb, wie es war. Allein einige Unterdrücker wurden ausgewechselt oder umbenannt.
Gepeinigt durch die Demokratie sitzen wir wie immer in der Zwangsmühle, sagen die Leute. Zwischen den Mühlsteinen der Parteien hindert man uns mit bösartigster Kraft, Demokraten zu sein. Denn Demokratie wäre ja schön, wenn es sie gäbe. Aber es gibt nur die Rede davon, niemanden jedoch, der danach lebt. Und daran ist nichts zu ändern. Nach der Rechtslage ist alles in Ordnung.
Beschränken, ansuchen, abschlagen, erlassen, belehren und verfügen, das ist Rechtslage. Ungerechtigkeit, Mächtigkeit, Oberhoheit, Verwaltung, Gebühr, Erhebung, Befähigung, Bescheid und Einlieferung ergeben sich aus der Rechtslage.
Die Rechtslage rechtfertigt das Erwägen, Festsetzen, Anheimstellen, Unterbinden, Erläutern, Belehren und Begründen. Die Rechtslage erfordert Erkundung, Anhaltung, Abmahnung, Befristung, Einziehung, Be¬schlagnahme, Sicherstellung, Einweisung, Befragung, Verwahrung und Inhaftierung.
Manchmal schreit einer auf und brüllt: Ich bin gepeinigt durch die Demokratie! Mein Gefühl schmerzt wie eine salzbestäubte Wunde. Meine innere Verblutung röchelt in der politikverseuchten Luft. Ich, der Antifaschist, erlebe den Fa¬schismus, die Diktatur, die Monarchie und die übelste Art der Tyrannei als sanft verkleidete Demokratie.
Hier, rundherum, schreit er, erleben wir den neuen, glänzenden, dicken, fetten Faschismus unter dem Namen Demokratie. Durch sie gepeinigt, haben wir nicht nur die Freiheit verloren, sondern auch den Traum von ihr.
Schon aber nähert sich blaublitzend und aufheulend ein unschuldweißer Streifenwagen. Quietschend umkreist er den Tobenden. Aus Lederjacken hervorkrallende Finger umklammern die Oberarme des Unzufriedenen zerren ihn in einen verborgenen Gewahrsam.
Weitergehen, weitergehen, dröhnt eine Stimme. Diese Demonstration war nicht angemeldet.
(Aus dem Roman: „Die Psychographie eines Schreibers“ © RTB-Edition 1985/2004)