2004-08-11
Die Psychographie eines Schreibers - Teil I
Karem von Zaumklink - Die Geschichte vom Demokratieverständnis
Einer wollte ein Kugelhaus bauen, ein anderer ein kleines Kämmerlein unterm Dach. Hätte doch keiner damit begonnen! Es ist ja bekannt, daß jeder Atemzug, jeder Fingerzeig und die Zahl der Pulsschläge vom Staat bevormundet werden. Nicht von diesem inselseligen dereinst, sondern von jenem fernen, der sich Demokratie nennt.
Dort kann keiner etwas beginnen. Dort löst die klein¬ste Kleinigkeit Schikanen, Vorschriften und Willkür aus. In diesem Land will jeder profitieren. Schon der Nächstbeste, besonders aber die Staatsmacht als allergrößte Profitmaschine. Oder als das System dunkler Kanäle.
Es gibt keine mächtigere als diese kaltmetallisch glänzende, teilweise mit Leutseligkeit geschmierte Profitmaschine. Mit feinsten Schrauben wird sie auf freiheitsberaubende Bürgerblindheit eingestellt. Ihr Starrsinnsautomatenauge erkennt keine lebenden, fühlenden Menschen.
Mit Maschineninstinkt tastet ihre hirn- und herzlose Elektronik ausquetschbare, machtgeknüppelte Individuen ab. Die Maschine gibt vor, der Gesetzeslage nach die Leute zu umsorgen und dem Volke zu dienen, ja, diesem das Leben zu erleichtern.
Sie hegt jedoch nur die Ellbogenfreiheit ihrer bürokratischen Tast- und Fangarme, betreibt Mundpflege im eigenem Maul und hält sich die Menschen durch übel parfümierte Schmierseife fern. Sie dient unter dem Namen Volksvertreter eigenen Bestrebungen und stillt ihren Machthunger wahllos. Ihre Ausscheidungen fallen für das verbal geliebte Volk als Gesetze, Verordnungen, Aufforderungen, Anordnungen und Strafen ab. Damit erzieht sie zum Demokratieverständnis.
Der Mensch ist und bleibt ihr nichts. Mutlos gewor¬den, hat er die Selbstachtung verloren. Er ist verlo¬ren, verstoßen, verachtet, vergessen und gepeinigt.
Gepeinigt durch die Demokratie, haben wir unser Leben verspielt, sagen die Menschen dort. Bei uns stehen die Staatsform wie die Religion nur auf dem Papier. Hier ist alles sinnloses Geschreibe und Gerede: Der Glaube, die Ehre, die Freiheit, der Fleiß, das Ansehen, die Ehrlichkeit und die Wahrheit sind lebensferne Begriffe. Auch die Lauterkeit.
Im Namen der Demo¬kratie werden Fußangeln ausgeworfen, in denen wir uns verhängen, sagen die Menschen dort. Wir ver¬stricken uns in den Schlingpflanzen der Gesetze und große, rotschwarzblaue Spinnen mit Basiliskenblick, starrende Gesetzesungeheuer, lauern darauf, uns zu erdrosseln und auszusaugen.
(Aus dem Roman: „Die Psychographie eines Schreibers“ © RTB-Edition 1985/2004)