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2007-02-14 Zum Fortbestehen verurteilt - Kleinbauern der Länder des Südens im Globalisierungsprozess Inhalt
. . Die FragestellungDie Öffnung und Deregulierung der Binnenmärkte für Agrarprodukte bietet für viele Produktionsstandorte in den `Entwicklungsländern´ neue Chancen. Für die Kleinbauern und –bäuerinnen dieser Länder bedeutet die Durchsetzung globaler Märkte dennoch eine Existenzbedrohung. Was 300-500 Mill. Familien auf 300 Mill. ha erzeugen, kann problemlos von einigen 100.000 Farmbetrieben geliefert werden. Die neuen Marktchancen hingegen sind meist mit Anforderungen hinsichtlich Qualität und Termintreue verbunden, denen Kleinproduzent/innen nur schwer genügen können. Führt der gegenwärtige Transformationsprozess also zur Auflösung der kleinbäuerlichen Produktionsweise und der Subsistenzwirtschaft? Oder bleibt der Rückzug in die Subsistenz als Rettungsanker der Globalisierungsverlierer/innen? Der Artikel versucht, diese Fragen anhand aktueller Beispiele zu beantworten. Samir Amin (2004, S.25) sieht 3 Mrd. Bauern und Bäuerinnen (Kinder und Alte mit eingerechnet), also nahezu die Hälfte der Menschheit, als bedroht an. Er bezieht dabei Pächter, Landarbeiter und all jene, die Einkommen aus nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten beisteuern mit ein. Vorsichtigere Schätzungen gelangen zu dem Ergebnis, dass knapp die Hälfte der 2,9 Mrd. im ländlichen Regionen von Entwicklungsländern lebenden Menschen in Haushalten selbständiger Kleinbauern leben (Bryceson et al 2000, S.4). Das wären bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von fünf Personen etwas weniger als 300 Millionen Haushalte. Die FAO geht von 1 Mrd. kleinbäuerlichen Erwerbspersonen aus (1995). Die unterschiedlichen Schätzungen sind nicht nur auf statistische Erhebungsprobleme, sondern auch auf Abgrenzungsschwierigkeiten zurückzuführen: Je nachdem, ob Pächterbetriebe einbezogen werden, und ob Familienmitglieder mit teilweise nicht landwirtschaftlichen Einkommensquellen mitgerechnet werden, gelangt man zu sehr unterschiedlichen Zahlen. Es gibt ihn nicht mehr, den klar abgrenzbaren kleinbäuerlichen Haushalt. Das ist ein Ergebnis des hier thematisierte Transformationsprozess. Aber es gibt sie noch, die knapp 3 Milliarden Menschen, die zumindest teilweise von landwirtschaftlichen Einkommen und Nahrungsmitteln aus einem Familienbetrieb abhängen. Die Einschätzung Samir Amins, dass diese Existenzform durch fortschreitende Globalisierungsprozesse bedroht sei, wird weithin geteilt. Uneinigkeit besteht darüber, ob deren Verschwinden zu einer alternativlosen und Existenz bedrohenden Ausgrenzung der Betroffenen führt (Bryceson et al 2000, S.309) oder ob diese von weltmarktintegrierten Sektoren absorbiert werden können (Weltbank 1995, FAO 2003, S. 296), so, wie die europäischen Kleinbauern vom Industrialisierungsprozess und den Arbeitsmärkten der Aussiedlerländer aufgesogen wurden. Die unvollständige koloniale/ postkoloniale Transformation der kleinbäuerlichen ExistenzformDie reine kleinbäuerliche Selbstversorgungswirtschaft war eher die Ausnahme als die Regel. In der „asiatischen Produktionsweise“ bzw. dem „Rentenkapitalismus“, welche nicht nur in Ost- und Südasien, sondern auch im Orient, in Teilen Westafrikas und in lateinamerikanischen Hochkulturen verbreitet war, mussten kleinbäuerliche Haushalte Überschüsse erwirtschaften, um das von den Oberschichten benötigte städtische Gewerbe zu ernähren. Auch afrikanische Kleinbauern waren schon in vorkolonialen Zeiten in Fernhandelsbeziehungen eingebunden. Das koloniale Rohstoff- und Absatzinteresse führte aber im 19. Jahrhundert zu einer grundlegenden Transformation kleinbäuerlicher Existenzen in Form einer verstärkten Marktintegration. Diese nahm unterschiedliche Formen an: An manchen Orten stand die Erwirtschaftung von vermarktbaren Überschüssen für städtische oder internationale Märkte im Vordergrund. Andernorts waren Arbeitskräfte für den Bergbau oder für großbetriebliche Plantagenproduktion gefragt. Die Marktintegration wurde von Kolonialregierungen teilweise durch monetäre Steuern erzwungen, teilweise durch Konsumgüteranreize vorangetrieben. Die Marktintegration aber blieb begrenzt. Die Einkommen reichten meist nicht, um damit die ganze Familie zu ernähren. Die Beschäftigungsverhältnisse waren befristet, die Marktchancen für landwirtschaftliche Überschüsse blieben unsicher. Die neuen Einkommensquellen konnten die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln nur ergänzen, nicht ersetzen. Die kleinbäuerliche Existenzform blieb in abgewandelter Form als „Mischproduktion“ bzw. als „(Rural) Livelihood System“ erhalten. Verflechtung von Subsistenz- und Warenproduktion als konstituierendes Merkmal kleinbäuerlicher Produktionsweisen in post-kolonialen Gesellschaften bis 1990Die Modernisierer unter den Entwicklungstheoretikern und -praktikern sahen in der Aufrechterhaltung der Subsistenzproduktion ein zu überwindendes traditionelles und Fortschritt hemmendes Relikt. Entwicklungsprojekte in den 1960er/70er Jahren zielten auf eine letztendlich vollständige Marktintegration kleinbäuerlicher Betriebe. Ihre Vision hat sich im letzten halben Jahrhundert nur in wenigen „newly industrialized countries“ realisiert. In den meisten anderen postkolonialen Gesellschaften blieb Subsistenzproduktion, die Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln, eine unverzichtbare Grundlage der Existenzsicherung. Die Verflechtung von Subsistenz- und Warenproduktion blieb kein Übergangsphänomen, sondern wurde zur notwenigen, alternativlosen Überlebensform für die Mehrzahl der Menschen in den Entwicklungsländern. Die makro- und mikroökonomische Logik dieser „Verflechtung der Produktionsweisen“ wurden in den 1980er Jahren von den Autoren/innen des „Bielefelder Verflechtungsansatzes“ begründet (vgl. Elwert 1985, Evers 1988). Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive bot die Entwicklungsdynamik der Weltmärkte nicht genug Existenzmöglichkeiten, um einen nennenswerten Teil der kleinbäuerlichen Bevölkerung voll und dauerhaft in die Marktwirtschaft zu integrieren. Dies liegt bei den landwirtschaftlichen Marktprodukten daran, dass deren Nachfrage unterproportional zur Expansion der Weltwirtschaft wächst. Im industriellen Sektor reduzierte die Automatisierung die Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Tatsache, dass die Familienangehörigen weiterhin von der Subsistenzwirtschaft getragen werden konnten, hielt Löhne und landwirtschaftliche Erzeugerpreise niedrig. Wer im marktwirtschaftlichen Sektor nicht gebraucht wurde, konnte wieder ins „soziale Auffangbecken“ (Rauch 1979, S. 55 f.) der Subsistenzwirtschaft abgeschoben werden. Aus der Perspektive der betroffenen Familien hieß deshalb die Devise „auf zwei Beinen gehen“. Die Subsistenzproduktion alleine reichte bei zunehmender Bevölkerungsdichte, gewachsenen Bedürfnissen und sich verknappenden natürlichen Ressourcen (die zunehmend für Marktproduktion in Anspruch genommen wurden) nicht mehr aus zur Befriedigung der grundlegendsten Bedürfnisse. Die Einkommensmöglichkeiten aus Lohnarbeit und Verkauf von Überschüssen erwiesen sich als zu gering und zu unsicher, als dass man seine Lebenssicherungsstrategien darauf hätte aufbauen können. Es entwickelten sich weltweit die oft beschriebenen diversifizierten „Livelihood“ – Systeme (Chambers / Conway 1992): Die Frau bewirtschaftet die Subsistenzfelder, kümmert sich um Kinder und Alte. Der Mann bewirtschaftet ein Cash Crop-Feld und sucht außerhalb der Saison nach Tagelöhner-Jobs. Ein Sohn arbeitet in der Stadt oder im Ausland, ein anderer besucht die höhere Schule in der Hoffnung auf ein festen Anstellungsverhältnis im formellen Sektor unterzubringen. Eine Schwester verdient ebenso Geld als mobile Händlerin. Von einem „kleinbäuerlichen Betrieb“ konnte also keine Rede sein. In einem Jahr trug die Landwirtschaft vielleicht 30% zum Familieneinkommen bei, in einem anderen konnten es 70% sein. Landwirtschafts- und Kleinunternehmerberater resignieren oft angesichts der mangelnden Bereitschaft der Klienten, sich auf Weiterentwicklung eines „Betriebes“ und eine entsprechende Spezialisierung einzulassen und klassifizierten diesen Typus von Wirtschaftsakteuren als „Survivalists“, hoffnungslose Fälle für eine Marktintegration. Auch aus Sicht der Betroffenen war diese Form der Verflechtung von Subsistenz- und Warenproduktion prekär. Zum einen war und ist sie trotz aller Diversifizierungsstrategien stets risikoanfällig. Die „Verwundbarkeit“, d. h. die Gefahr, bei witterungs- oder krankheitsbedingten Ernteausfällen in eine existenzbedrohende Krise zu geraten, ist hoch. Zum andern stehen die Akteure stets vor dem Dilemma, den widersprüchlichen Logiken und Verhaltensanforderungen von subsistenz- und marktwirtschaftlichen Systemen gleichermaßen folgen zu müssen: Der Erfolg auf dem Markt erfordert höhere Qualität basierend auf Spezialisierung und produktiven Investitionen, die Notwendigkeit der Überlebenssicherung mahnt zu Diversifizierung und zwingt zur Umverteilung investierbarer Überschüsse (siehe Abb. 1). Dieser Zwiespalt führt zu ständiger Verhaltensunsicherheit und zu Konflikten. Oft bleiben so die ohnehin begrenzten Marktchancen ungenutzt. Manchmal werden sie genutzt um den Preis der Angst vor sozialen Sanktionen (vgl. Tröger 2004, S.62f.; Rauch 1996, S.101). Das System der Verknüpfung von Subsistenz- und Warenproduktion erwies sich – so prekär und flexibel es für die involvierten Akteure blieb – als ein gesamtgesellschaftlich erstaunlich stabiles Phänomen. Der Rückzug in die Subsistenzproduktion blieb die Ausnahme in Krisensituationen. Die vollständige Marktintegration gelang auf breiter Basis nur in Ländern mit dynamischer Wirtschaftsentwicklung. Die räumliche Reichweite dieser verknüpften Livelihood-Systeme vergrößert sich mit zunehmender Verstädterung. Auch in den Städten nimmt die Bedeutung der Subsistenzlandwirtschaft zu. Hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit hat sich das System als anpassungsfähig erwiesen: Aus den landwirtschaftlichen Erträgen konnten 1995 etwa die doppelt so viele Menschen ernährt werden als 1965. Dies gilt selbst für Afrika, wenn man die von Bürgerkriegen betroffenen Länder ausklammert (Rauch 1999, S. 113 ; Zeller/Johannsen 2005, S. 373). Wo genügend Land verfügbar war (wie in großen Teilen des sub-saharischen Afrikas) erfolgte dies durch Flächenausweitung. Wo Land der Engpassfaktor war, wurden Agrarinnovationen aufgegriffen, kam es zu Intensivierungen. Sehr unterschiedlich waren die Bewertungen dieser Produktionsweise: Die Modernisierer beklagten deren Rückständigkeit, die Dependenztheoretiker beklagten dessen ausbeuterischen Charakter in Form der Alimentierung der Warenproduktion durch die Subsistenzproduktion. Wieder andere Autoren lenkten die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Unabhängigkeit der selbständigen Kleinbauern, die – im Gegensatz zu landlosen Arbeitern – stets die Möglichkeit hätten, sich bei Verschlechterung der Marktbedingungen auf die Subsistenzproduktion zurückzuziehen (Hyden 1980). Veränderungen der Rahmenbedingungen für kleinbäuerliches Wirtschaften durch GlobalisierungsprozesseDas Phänomen Globalisierung wurde in dieser Zeitschrift bereits ausführlich thematisiert (vgl. Scholz 2003). Die Betrachtungen in diesem Beitrag fokussieren deshalb auf globalisierungsbedingte Veränderungen auf den Agrarmärkten. Einbezogen wird dabei die Deregulierung der Binnenmärkte, da diese etwa zeitgleich mit den Tendenzen zu deren Öffnung erfolgte und als Teil derselben Agenda der internationalen Finanzinstitutionen betrieben wurde. Folgende globalisierungsbedingte Trends bedeuten eine gravierende Veränderung von Rahmenbedingungen für kleinbäuerliches Wirtschaften in Entwicklungsländern:
Begrenzten neuen Chancen stehen also viele neue Beeinträchtigungen und Risiken für Kleinbauern gegenüber. Es gibt also Gewinner: Das sind Produzenten an marktnahen Standorten und jene, die über genügende Kapazitäten an Land, Arbeitskraft und Kapital verfügen, um auf wechselnde Marktbedingungen reagieren zu können. Und es gibt viele Verlierer/innen: Dies sind Erzeuger/innen an peripheren Standorten mit begrenzten Kapazitäten (Zeller/Johannsen 2005, S.384). Zu den globalisierungsbedingten Dynamiken der Agrarmärkte kommen noch andere, eher allmähliche und langfristige Veränderungen der Rahmenbedingungen für kleinbäuerliches Wirtschaften hinzu. Dazu gehört die Verknappung, Degradierung und Destabilisierung der natürlichen Ressourcen (Boden, Wasser, Klima), welche die strategischen Handlungsspielräume bei der Reaktion auf ökonomische Veränderungen weiter reduziert. Dazu gehören Tendenzen zur Privatisierung des Bodens, die zwar für die Eigentümer Anreize für nachhaltige Nutzung erhöhen, die aber das Risiko für die „Verlierer/innen“ schafft, im Falle der Verschuldung landlos zu werden. Schließlich bewirken der verstärkte Zwang und die verbesserten Möglichkeiten zur Migration tendenziell eine Veränderung der sozio-kulturellen Rahmenbedingungen: Die Verbindlichkeit alter gemeinschaftsorientierter Werte und die Autorität der für deren Einhaltung zuständigen traditionellen Führer nimmt weiter ab. Auf traditionelle soziale Sicherungssysteme ist kaum noch Verlass. Trotz neuer Chancen ist es nachvollziehbar, dass die skizzierten Veränderungen in doppelter Weise als bedrohlich empfunden werden: Sie schränken die ökonomischen Handlungsspielräume an vielen Orten objektiv ein. Und sie wirken in ihrer geballten Dynamik verunsichernd. Die Relevanz althergebrachten lokalen Wissens schwindet, die Anpassungsfähigkeit ist überfordert. Reaktionen kleinbäuerlicher FamilienWie gehen Kleinbauern/innen mit diesen Veränderungen, oft Einengungen ihrer Handlungsspielräume um? Am oberen und am unteren Rand des sozio-ökonomischen Spektrums sind die Reaktionen relativ eindeutig: Am oberen Rand nutzt man die Standortgunst und die vorhandenen Land-, Arbeitskraft und Kapitalreserven und wagt die Spezialisierung zur Nutzung neuer Marktmöglichkeiten. Meist ist dies möglich, ohne die Subsistenzproduktion aufzugeben. Am unteren Rand bleibt oft keine andere Option als das Zurückfallen in eine –aufgrund von Landverknappung und Nährstoffverlust der Böden – oft defizitäre Subsistenzproduktion. Hierbei handelt es sich oft um allein stehende Frauen oder ältere Menschen ohne für sie sorgende Kinder. Im großen Zwischenbereich jener, deren landwirtschaftliche Ressourcen begrenzt sind, die aber noch hinreichend flexibel sind, um neben der Erhaltung der Subsistenzbasis noch andere Erwerbsmöglichkeiten aufzunehmen herrschen vier Strategien vor (Bryceson 2000, S. 305f.): a. Diversifizierung unter Einbeziehung nicht-landwirtschaftlicher Tätigkeiten b. Migration einzelner Familienmitglieder c. Intensivierung mit Spezialkulturen auf kleinen Flächen d. Kontraktproduktion Die Beispiele in den Kästchen sollen dazu dienen, diese Strategien in ihrem jeweiligen regionalen Kontext zu verdeutlichen. Fall Mukasika/Tansania: Fische statt Baumwolle Das Dorf Mukasika liegt auf der Insel Ukerewe im Viktoriasee. Die naturräumlichen Bedingungen sind günstig für den Anbau einer Vielzahl landwirtschaftlicher Produkte. Mit über 250 Einwohnern pro qkm ist die Insel für eine ländliche Region dicht besiedelt. Seit den 1930er Jahren wurde von kleinbäuerlichen Haushalten Baumwolle für den Export angebaut. Zwischen 1990 und 1995 kam es zu drastischen Veränderungen:
Fall Kabompo / Sambia: Honig statt Mais Fall Kabompo / Sambia: Honig statt Mais(Quelle: Tekülve 1997)Kabompo ist ein dünn besiedelter (3 Einwohner je qkm) entlegener Distrikt an der angolanischen Grenze. Die waldreichen peripher gelegenen Siedlungen sind nicht besonders gut für Ackerbau geeignet. Die Bewohner/innen praktizierten deshalb stets ein extensives Wanderfeldbausystem mit Maniok als Haupt-Subsistenzfrucht. Der Bargeldbedarf wurde überwiegend durch Wanderarbeit gedeckt. Als diese Einkommensquelle Mitte der 1970er Jahre aufgrund der Krise des Kupferbergbaus versiegte, bot die sambische Regierung (mit Unterstützung durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit) Services zur Förderung kleinbäuerlicher Produktion von ackerbaulichen Produkten für den Binnenmarkt (Mais, Erdnüsse, etc.) sowie von Honig und Bienenwachs an. 1990 wurden im Zeichen der Strukturanpassungspolitik der sambischen Regierung (s.o.!) die Bereitstellung von Krediten und der staatlich subventionierte Aufkauf von Agrarprodukten zu festen Preisen eingestellt. Die Produktion von Cash Crops erwies sich ohne Subventionierung an den entlegenen Standorten als nicht konkurrenzfähig und wurde stark reduziert. Demgegenüber war die Produktion von Honig und Wachs auf Basis der traditionellen Technik (selbst gefertigte Bienenstöcke, ‚bark hives’, ohne Bedarf an externen Inputs) als hochwertiges Produkt mit niedrigen Transportkosten je Gewichtseinheit auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen eine wichtige Einkommensquelle für die Mehrzahl armer Kleinbauern. Die Nachfrage in den sambischen Städten aber wurde zum limitierenden Faktor. Es bedurfte einer Liberalisierung der Exportpolitik Sambias und der aktiven Vermittlung internationaler ‚Fair Trade’ NGOs, um eine vertraglich gesicherte Marktanbindung an eine weltweit agierende Kosmetik-Ladenkette herzustellen. Dort ist Honig aus Kabompo heute als Bestandteil eines Haarshampoos und Wachs in Form einer Handcreme zu kaufen. Die Subsistenzlandwirtschaft blieb von der Veränderung der Cash-Einkommensbasis unberührt. Fall Sankhuwasabha/Nepal: Ernährungssicherung durch Blumenkohl-Export Sankhuwasabha ist ein Distrikt in den dichtbesiedelten Vor-Himalaya-Bergen Nepals. Ackerbaulich nutzbares Land, insbesondere das begehrte Bewässerungsland ist knapp. Es steht in den stark sozial stratifizierten Kastengesellschaften nur den höheren Kasten in hinreichendem Umfang zu Verfügung. Weit über die Hälfte der ländlichen Haushalte sind Subsistenzdefizit-Haushalte: Das Land reicht nicht mehr zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln. Eine Intensivierung mit Hilfe von Mineraldünger lohnt nicht, auch weil die meisten Dörfer nicht an das Straßennetz angeschlossen sind. Die Ernährungslücke wird i.d.R. durch Einkommen aus Wanderarbeit (Indien, Golfstaaten) oder durch nicht-landwirtschaftliche Einkommensquellen (Trägerdienste) geschlossen. Die Frauen, Kinder und Alten bleiben meist im Dorf zurück. Ein Teilgebiet des Distrikts wurde Anfang der 90er Jahre durch Straßenanschluss erschlossen. Gleichzeitig wurden über Handelsabkommen neue Möglichkeiten des Exports nach Indien eröffnet. Innerhalb weniger Jahre begannen 25000 Kleinbauern (überwiegend Frauen und Nahrungsmitteldefizit-Familien), organisiert in Genossenschaften auf kleinsten Flächen von 0,05 bis 0,1 ha auf Vertragsbasis Saisongemüse für den Bedarf Kalkuttas zu produzieren, den komparativen klimatischen Standortvorteil der Höhenlage nutzend. Die Qualitätsstandards waren gewöhnungsbedürftig, angesichts der geringen zu bearbeitenden Flächen aber arbeitsökonomisch leistbar. Mit dem Ertrag von 0,05 ha Gemüsefläche kann etwa die einer Anbaufläche von 0,3 ha entsprechende Reismenge gekauft werden. In höher gelegenen, schlechter verkehrsmäßige erschlossenen Regionen Nepals werden - leichter transportierbare - Gewürze und Heilkräuter aus den Bergwäldern nach Indien vermarktet um das Einkommen für den Kauf von Nahrungsmittel zu verdienen. Fall Kerala/Indien: Wanderarbeit und flächensparende Cash Crops ersetzen Reis Kerala ist eine dichtbesiedelte Agrarregion mit überwiegend kleinbetrieblicher Struktur. Die Mehrzahl der Betriebe hat weniger als 1 ha Anbaufläche. Die Hauptnahrungsfrucht Reis erlitt dort bereits seit den 1960er Jahren einen allmählichen Bedeutungsverlust. Heute ist Kerala eine Reis-Importregion und die Mehrzahl der Kleinbauern muss das Grundnahrungsmittel Reis zukaufen. 70% der Fläche werden nun mit hochwertigen flächensparenden Kulturen (Gewürze und Baumkulturen wie Kautschuk, Kokosnüsse, Bananen) bestellt. Weitere Einkommensquellen sind Saisonarbeit bei Großbauern und Wanderarbeit in die Golfstaaten. Fall Homa Bay/Kenia: Ernährungssicherung durch Cash Crops Homa Bay ist eine dichtbesiedelte Agrarregion im Westen Kenias. Die Ernährungssicherung über die Selbstversorgung mit Mais, der zugleich als Cash Crop den Bargeldbedarf zu decken hatte, wurde immer unsicherer aufgrund von Landverknappung, zunehmender Niederschlagsunsicherheit und durch extreme saisonale Preisschwankungen. Außerdem war Maisanbau in Monokultur für die Boden-fruchtbarkeit schädlich. Bemühungen von Unterstützungsorganisationen um die Einführung von Mais-Hochertragssorten erwiesen sich als wenig erfolgreich: Zu unsicher bei schlecht funktionierenden Agro-Services angesichts der Abhängigkeit von Chemiedünger und unsicheren Vermarktungsbedingungen. Als attraktiv insbesondere für ärmere Produzenten/innen (unter ihnen viele AIDS-Witwen) erwies sich hingegen der Vertragsanbau von höherwertigen Cash Crops wie Erdnüssen, Süßkartoffeln und Sonnenblumen für Märkte in den Großstädten. Auf 0,2 ha Anbaufläche können Erlöse erwirtschaftet werden, die die Nahrungsmittelversorgung für eine Anbausaison sichern. Dafür würde man ohne chemische Dünger die 3-fache Maisfläche benötigen. Zwar ist die Aufbereitung von Erdnüssen und Süßkartoffeln sehr arbeitsintensiv. Doch es handelt sich nicht um Feldarbeiten, sondern um häusliche Arbeiten, die besser in den täglichen und saisonalen Arbeitsablauf überlasteter Mütter integrierbar sind. Fazit: Ländliche Livelihood-Systeme bleiben, der Subsistenzanteil nimmt ab, die Abhängigkeit der Ernährungssicherung von unsicheren externen Märkten nimmt zu. Die fünf skizzierten Fallbeispiele können keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Die Gemeinsamkeiten dieser fünf Fälle stehen aber weitgehend in Einklang mit Trends, wie sie auch Bryceson et al. (2000) in ihrem Sammelband „Disappearing Peasantries?“ beschrieben haben:
Die genannten Beispiele sind wohl eher als Erfolgsbeispiele einzuordnen, handelt es sich doch um Fälle, in denen neue Marktmöglichkeiten für ärmere Schichten gefunden wurden. Doch bestand der „Erfolg“ der Anpassung nicht etwa in einer signifikanten Verbesserung der Lebensbedingungen oder einer vollen und stabilen Marktintegration, sondern lediglich darin, mit einem bescheidenen jährlichen Zuverdienst von etwa 100-200 US-$, die aus Landverknappung, Abbau von Agrardiensten und Epidemien wie HIV/AIDS resultierende Krise besser zu bewältigen. Ob nur temporär oder langfristig bleibt in allen Fällen abzuwarten. Zwei Pauschalurteile können durch die Fallbeispiele relativiert werden: (1) Produktion von Marktfrüchten für externe Märkte muss nicht ökologisch schädlich sein. Sie kann zu einer standortgerechten und ökologisch nachhaltigeren Nutzungsform führen (z.B. im Vergleich zu Maisanbau in Monokulturen).(2) Produktion von Markfrüchten muss nicht auf Kosten der Ernährungssicherung gehen. Sie kann unter bestimmten Standortbedingungen der weniger riskante Weg zur Ernährungssicherung für landknappe Haushalte sein. Der seit Jahrzehnten sich vollziehende Transformationsprozess von in der Dorfgemeinschaft verwurzelten und an die „Scholle“ gebundenen Kleinbauern/innen hin zu multilokalen Haushalten mit diversifizierten und sich flexibel der Marktlage anpassenden Existenzsicherungsaktivitäten setzt sich also - beschleunigt durch die Deregulierung der Märkte - weiter fort. Ein weiterer, damit einhergehender, Transformationprozess ist der von unabhängigen hin zu vertragsgebundenen Produzenten/innen. Auf deregulierten Märkten sind individuelle unabhängige Kleinstproduzent/innen zwangsläufig die Verlierer. Sie können mit ihren geringen Mengen nicht strategisch auf Märkten agieren, haben keinen Marktüberblick und keine Verhandlungsmacht. Die Option genossenschaftlicher Vermarktung hat sich diesbezüglich meist als zu organisationsaufwändig, ineffektiv und missbrauchsanfällig erwiesen. Bleibt die Vertragsproduktion, eine Vermarktungsform, in welcher eine zentrale Aufkauforganisation zu vorher festgelegten Konditionen von unabhängigen Kleinproduzenten aufkauft (Glover 1994, S. 167). Dabei werden die Vorteile kleinbäuerlicher Produktion (Eigenverantwortlichkeit und Motivation der Produzent/innen) mit den Vorteilen großbetrieblicher Vermarktung vereint. Vertragsproduktion wird also wohl in zunehmendem Ausmaß zu einem Element diversifizierter Livelihood Systeme werden. Entwicklungspolitische KonsequenzenDa die städtisch-industrielle Entwicklungsdynamik in den meisten Ländern nicht reicht, um für die Mehrzahl der Bevölkerung gesicherte Existenzmöglichkeiten zu schaffen, ist die Erhaltung und Schaffung von Existenzgrundlagen im ländlichen Raum als wesentlicher Teil von multilokalen Livelihoodsystemen unverzichtbar (Rauch et al 2001, S.22). Dabei ist weder eine reine Marktintegration noch eine reine Subsistenzverbesserungsstrategie realistisch. Als Leitbild einer Förderpolitik eignet sich deshalb weiterhin die Orientierung am Ziel „Sustainable Livelihoods“. Dabei erweist sich der Zugang zu Märkten für ärmere ländliche Kleinproduzenten häufig als Schlüsselfaktor für einen erfolgreichen Transformationsprozess. Da dieser weder aus der Dynamik der Märkte resultiert, noch im Kompetenzbereich staatlicher Verwaltung liegt, haben temporäre externe Unterstützungsleistungen bei der Herstellung von Marktbeziehungen eine wichtige Katalysatorenrolle zu spielen. Dies gilt insbesondere für die Herstellung und Gestaltung von Vertragsproduktionsverhältnissen. Zur Aushandlung fairer Vermarktungsbedingungen ist es notwendig, ärmere Kleinproduzenten zu organisieren und sie zu ebenbürtigen Vertragspartnern zu befähigen. Darüber hinaus kann durch Partnerschaften mit den Ankauforganisationen erreicht werden, dass die Produktionsberatung sich nicht auf das zu liefernde Erzeugnis beschränkt, sondern ganzheitlich auf das Farm-System ausgerichtet wird. Nur wenn ländliche Kleinproduzent/innen dabei unterstützt werden sich zu organisieren, haben sie auf deregulierten Märkten eine Überlebenschance (vgl. auch Messner / Brüntrup 2006, S. 7). Nur dann auch werden sie Teil einer Zivilgesellschaft. Nur dann hat Demokratisierung in ländlichen Regionen eine Chance zur Armutsreduzierung beizutragen. LiteraturAmin, S.: Die neue Agrarfrage. 3 Milliarden Bauern und Bäuerinnen sind bedroht. 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