2003-10-01
Die Rose
Einst lebte ein junger Mann. Er hatte alles erreicht, was er sich von seinem Leben erwünscht hatte. Seine Freunde kannten ihn als starken Menschen, auf den man sich verlassen konnte.
Doch plötzlich änderte sich alles, denn er wurde krank. Er wusste, es würde bald vorbei sein. Sein Leben war also fast vorüber. Seine Freunde verließen ihn, aus Angst, und auch er hatte Angst. In dieser Zeit traf er eine Frau, die seine Zweifel, seine Angst und auch seine Wut auf das Schicksal spürte.
Er bat sie, ihm eine Geschichte zu erzählen.
"Nimm mich bei der Hand", sagte sie. Und als sich ihre Hände berührten, spurten die beiden, wie sie sich veränderten. Ihre Körper veränderten sich. Eine Stimme aus ihrem Inneren sprach zu ihnen: "Nehmt diese weiße Rose und bringt sie ans Meer, dann wird sich ein Wunsch erfüllen."
Die beiden erhoben sich als Möwenpaar in die Luft, und er hielt eine weiße Rose im Schnabel. Ein solches Gefühl hatten die beiden bis heute nicht gekannt. Sie flogen hoch in den Himmel in der sternklaren Nacht Ihre Sinne hatten sich geschärft, sie hörten, spürten, und dachten wie nie zuvor. Frei flogen sie über Städte, in denen andere Menschen längst schliefen. Klein und unbedeutend war alles unter ihnen. Immer höher und weiter flogen sie, es war wie ein Rausch.
Sie flogen und flogen.
Endlich begann der Morgen zu dämmern. Das Möwenweibchen konnte das Meer schon riechen, sie wusste, dass sie ihrem Ziel schon nahe waren. Als sie sich im Flug umsah, um ihm zu sagen, dass sie da seien, bemerkte sie, wie ihn die Kräfte verließen. Je höher die Sonne stieg, desto schneller stürzte er zur Erde nieder. Sie flog, um ihm zu Hilfe zu kommen, doch es
war zu spät. Als sie ihn erreichte, lag er tot auf der Erde. Neben ihm lag die weiße Rose, die sich rot färbte.
Die junge Frau nahm die Rose auf und ging die letzten Schritte bis zum Meeresufer. Sie ging am Strand entlang, stieg über Felsen und berührte die Rose mit den Lippen. Dann warf sie sie ins Meer. Lange noch stand sie und beobachtete die roten Blütenblätter, die von der Strömung ins offene Meer getragen wurden.
"Auf das sich dein Wunsch erfülle", flüsterte sie.