2003-09-11
Ein schwüler Hochzeitsnachmittag
Der Bräutigam ist endlich im kleinen Schnapsgeschäft, dem Treffpunkt der Hochzeitsgäste,
aufgetaucht. Er hat noch schnell eine anständige Uhr kaufen müssen, eine Uhr, die auch
zum teuren Hochzeitsanzug passt. Dann erscheint die Braut in weißem Kleid mit
Spaghettiträgern mit tiefem Rückenausschnitt und venezianisch langen, spitz zulaufenden
weißen Schuhen. Viel spitzer als vor 35 Jahren! Doch was geschah mit den blonden kurz
geschnittenen Haaren der Braut? Eine straff zurückgekämmte, am Hinterkopf aufgetürmte,
dunkle Lockenpracht verwandelt die Fleischhauerstocher in eine griechische Göttin.
Seit den gehauchten "Ja's" des Brautpaares auf dem Standesamt - kirchlich wird nicht
geheiratet -, dem Fototermin im Stadtpark, der Fahrt zum Hochzeitsmahl - im Auto entwickelt
sich ein heftiger Streit zwischen dem, nun Ehepaar - bis zum Eintreffen im Wirtshaus,
vergehen etwa drei Stunden. Kaum im Gastgarten angekommen, wo uns eine mit weißen Rosen
und einer Unmenge von Geschirr und Gläsern gedeckte Hochzeitstafel ein Festessen verspricht,
beginnt es plötzlich und heftig zu regnen. In den Gläsern sammelt sich Wasser, die
Tischtücher triefen, die Rosen lassen die Köpfe hängen. Nur die Lockenpracht der Braut hat
die Nässe unbeschadet, als wäre sie mit einer unsichtbaren Schutzhülle überzogen,
überstanden. Der Saum des weißen Kleides hat allerdings die Farbe "Schlamm" angenommen und
die spitzen auch nicht mehr weißen Schuhe werden achtlos auf das überdachte Musikpodium
geworfen. Personal und Gäste rennen mit dem nassen Zeug zwischen Gastgarten und
"Veranstaltungsraum" hin und her und versuchen im blau metallyse getünchten Raum wieder
eine festliche Tafel aufzubauen.
Die Brautgroßmutter meint, es wäre schade, dass die Zwei-Mann-Kapelle draußen im Pavillon
sitzt und wir herinnen, wo doch alle so gerne tanzen würden. Der Herr neben mir meint, "aber
Mutti, es kann heutzutage doch eh niemand mehr richtig tanzen, außer den Schwulen". Ich schaue
etwas irritiert. Die Unterhaltung wechselt nahtlos zur Stadt München, die weltoffener,
großzügiger und lebenswerter als das engstirnige Wien sei, wo er studiert habe, jetzt noch
wohne, aber baldmöglichst nach München zu seinen Freunden ziehen werde.
Das überaus köstliche Mahl ist vorüber, die Sonne scheint wieder. Die Gäste versammeln sich im
Gastgarten. Die Hochzeitstorte, verziert mit vielen rosa und blauen Marzipanrosen, wird
feierlich angeschnitten. Sie schmeckt noch süßer als sie ausschaut. Das Musik-Duo spielt
Polka - eine Eigenkomposition - wie lautstark betont wird. Der Tischnachbar setzt sich neben
mich und meint, nach dieser merkwürdigen Musik kann wirklich kein Mensch tanzen, zahlt seinen
Nichten Eis und eine Cola, ich frage neugierig, ob er auch Kinder habe, Gott bewahre, ob er
vielleicht verheiratet sei, aber nein, er habe seinen Freund in München.
Dann wird Samba, Foxtrott und was weiß ich noch für Tanzrhythmen gespielt und wir tanzen,
tanzen, tanzen bis mir ganz schwül vor den Augen wird.