2003-06-28
Beinahe- Glück gehabt
Der Platz am Tisch neben dem chinesischen Fenster war mit einem sportlichen Mann
besetzt. Ein Glas Bier stand schon bereit. Das Lokal war gut besucht. In der Mittagseile
zog es mich zwingend dahin, zum chinesischen Fenster mit den Kirschblüten und den
langschwänzigen Vögeln.
War das ein unbewusster Hinweis? Ich glaube an das Unbewusste im Menschen!
Meiner freundlichen Anfrage, ob der Platz frei wäre, folgte eine deutliche klare
Einladung.
Meine analytische Nase traf bald ins Schwarze. Gerade noch davongekommen sei er. Schon
wollte sie seinen Reisepass einkassieren und dann ab ins Standesamt. Aber man hat ja Gott
sei Dank Freunde. Natürlich solche und solche. Nur seine Wohnung hätt´ sie interessiert
und sein gesichertes Einkommen. Aber mit Mitte Vierzig hat der Mensch schon seine
Erfahrungen. Natürlich mehr schlechte als gute mit den Frauen. Aber im Grunde hat er
Glück gehabt. Das Glück ist endlich vorbei. Zum Glück hat er noch den Sport. Täglich.
Täglich nach der Siesta, denn in Spanien war er auch schon, täglich nach dem Studium der
Zeitungen, denn lesen bildet, folgt ein längerer Sprint an der Drau. Der Sport ist eine
echte Lebenshilfe, denn drüber weg sei er noch nicht. Diese Kränkung, wegen der Wohnung
und dem sicheren Einkommen, diese Kränkung verbiete es ihm bis zum Sommer, also noch vier
Monate, auch nur an ein Weib zu denken. Und immer wieder dasselbe. Eigentlich geht's ihm
eh ohne besser.
Ja, lesen würde er auch gerne, besonders Reiseberichte. Darum wechsle er auch die Lokale:
griechisch, italienisch, chinesisch. Nein in China war er noch nicht aber seine
Reiselektüre in der er momentan sich hineinträumt ist Afrika. Warum nicht! Die Neger
sind auch Menschen. Nein Vorurteile kenne er nicht. Solange ihn keiner übers Haxl haut hat
er von ihm nichts zu befürchten. Er liebe eben ein freieres Leben, nicht so nach Regeln und
eingezwängt lustig sein, wie zu Weihnachten oder beim Kirchtag. Seine Freunde verstehen
ihn da nicht.
"Ob das wohl die Auswirkungen seines Berufes sein könnten? So ohne Vorschriften in den Tag
hineinleben wollen.?" "Nein! war seine Antwort, in keinem Fall."
Er wäre zwar ein strenger aber guter Vorgesetzter. Alles was er von seinen Soldaten
fordere würde er selber bringen. Drunter geht nix. Nein, so wie manche Kameraden alles nur
schleifen lassen, nein, das käme für ihn nicht in Frage. Aber seinen Ausgleich braucht
er. Zur Zeit nur den Sport, den Sport und die Literatur. Ja, die Sagen des Klassischen
Altertums wären auch seine Favoriten. Im Moment lese er sie gerade.
"Von Köhlmeier?" "Nein, von Überreiter!"
Das chinesische Essen war beendet.
Mein Marmorkuchen musste noch gebacken werden.
Ob ich es diesmal schaffe, mich an das Rezept zu halten?