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2012-01-30 Die Erinnerung bewahren Ansprache zum Internationalen Holocaustgedenktag . Erinnern an Auschwitz, erinnern an dieses „symbolische Zentrum des Holocaust“ – was heißt das für uns? Ist es nur ein laues Zugeständnis an die „politische Korrektheit“? Was sagt uns der Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz – heute? Und die Befreiung von Auschwitz war noch nicht die Befreiung von Europa. Im KZ Mauthausen wurden noch 100 lange Tage und Nächte nach dem 27. Jänner 1945 weiter gefoltert und gemordet. Man hört oft das Argument: „Das ist doch alles schon so lange her! Lassen wir es doch endlich ruhen“? Ja, es ist lange her. Soll das aber auch Grund genug dafür sein, dass schon so viel „vergessen“ wurde? Wenn schon so viel Zeit verstrichen ist, warum hat dann die Aufklärung über diese Zeit nicht schon längst Eingang in die Schul-Geschichtsbücher gefunden? Hat sich die Empörung, so es eine gegeben hat, über das Unrecht und die Verbrechen der Nazi-Zeit schon so verflüchtigt, dass dieser Gedenktag (bestenfalls) noch ein schwammiges Erinnerungsbild vom Zweiten Weltkrieg hervorruft? Wohl gemerkt, ich spreche hier auch und gerade von der NS-Zeit in Kärnten, von den Naziverbrechen vor der eigenen Haustür. Ich spreche von den Werten unserer Gesellschaft und den Fundamenten unserer christlich-jüdischen Erinnerungskultur. In der jüdischen Kultur ist das Erinnern ein religiöses Gebot. Und das Vergessen ist eine Sünde gegen Gott und wird deshalb mit der Wiederkehr von Unmenschlichkeit und mit immer neuen Katastrophen bestraft. Schon im Alten Testament ist von der schweren Schuld des Vergessens die Rede, denn kein Mensch ist davor gefeit, seine Erinnerungen aufzugeben, um nur aus der Gegenwart heraus und für eine vermeintlich bessere Zukunft zu leben. Das Vergessen wird gefördert durch den Wechsel der Lebensbedingungen, durch die abrupte Veränderung der sozialen Verhältnisse im Zuge von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Besonders dann, wenn die neuen Lebensbedingungen verlockend und viel besser erscheinen als die alten, werden die früheren Erlebnisse und Katastrophen gerne verdrängt. Man fordert dann einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit und spricht vom Neustart, von der „Stunde Null“. Und dieses Vergessen ist genau die Voraussetzung dafür, dass sich die Vergangenheit wiederholen und uns nochmals einholen kann. Das heißt: Bis zu einem gewissen Grad soll uns die Erinnerung auch helfen, dem sog. Wohlstand und dem gesellschaftlichen Fortschritt mit Distanz gegenüberzustehen. Das bedeutet gewissermaßen Fremdlinge bleiben im wohlbestellten heimatlichen Nest. Mit anderen Worten: Wir dürfen im Wohlstand nicht bis zur Bewusstlosigkeit schwelgen und darin aufgehen. „Bewusstlosigkeit“ heißt ja nichts anderes als vergessen, wie das alles begann, was zur Menschheitskatastrophe des Holocaust führte, vergessen, wer daran mitwirkte und am Leid und Tod von Millionen Menschen mitschuldig wurde. Keine Frage, es geht uns gut. Die Demokratie ist für uns zum Normalzustand geworden; wir haben uns darin eingerichtet. Angesichts dieser Bequemlichkeit, gepaart mit der selbstgefälligen Neigung, die unbequemen Aspekte der Vergangenheit zu verdrängen, haben wir uns die Wachsamkeit gegenüber den reaktionären Tendenzen abgewöhnt. Der schleichende Rückbau von Demokratie und Rechtsstaat wird hingenommen oder gar nicht bemerkt. Die „Freiheit“ wähnt man im Verdrängenkönnen und Vergessendürfen – und nicht im Gebot der Erinnerung. Ohne Bewusstsein der historischen Fakten und des Verursacherprinzips kann man nicht aus dem Schatten treten, den man selbst wirft. Und die historischen Schatten sind lang und dunkel. Man kann auch nicht über den eigenen Schatten springen, wenn man gar nicht weiß, dass so einer da ist. In dieser fatalen Situation befinden wir uns. Die Symptome sind: Geschichtslosigkeit und Interesselosigkeit; beides führt letztlich zur Verantwortungslosigkeit und Gefühlskälte gegenüber den Opferschicksalen. Auch dafür gibt es aktuelle Beispiele in Kärnten. Der deutscher Journalist Bernd Ulrich hat vor ein paar Jahren geschrieben: In Deutschland besteht die Gefahr nicht mehr darin, dass Auschwitz verleugnet oder verdrängt wird, sondern darin, dass man auf Auschwitz hinschaut, ohne Schmerz zu empfinden, ohne in seinem Menschsein wirklich verunsichert zu werden. Nur Gedenktage zu etablieren, wird zu wenig sein, um hier gegenzusteuern. So wie bei vielen Denkmälern besteht bei Gedenktagen die Gefahr, dass sie lediglich verstaubte Fossile der Vergangenheit sind, die uns nichts mehr sagen. Eine erstarrte, ritualisierte Gedenkpolitik kann die Geschichte nicht lebendig erhalten; sie fördert eher das bewusstlose Streben nach einer Zukunft ohne Vergangenheit. Für wen, wenn nicht für uns, soll denn die NS-Geschichte lebendig erhalten werden? Die Überlebenden benötigen für ihre Erinnerungen an den Holocaust keine Denkmäler und keine Gedenktage. Ihre Erinnerungen an den Holocaust sind schmerzhaft in Körper und Seele eingebrannt. Dennoch und gerade deswegen war und ist ihre Zeugenschaft notwendig, denn die Verbrechensorte verbergen ihre Geschichte und die Täter verbergen ihre Taten. Die Welt will in Ruhe gelassen und nicht daran erinnert werden, was geschehen ist und was sie hätte tun können, um dies zu verhindern. „Die Welt hat nichts getan“, schreibt der KZ-Überlebende von Buchenwald, Imre Kertész: „Die Welt hat nichts getan; sie hat mit unterdrückter Spannung der Ereignisse geharrt, wollte sehen was geschieht, um sich dann darüber zu entsetzen – sie (die Welt) hat sich (dann) über sich selbst entsetzt.“ Ohne die Zeugnisse der Überlebenden wären die Verbrechensorte ohne Beweiskraft. Ohne die Zeugnisse der Überlebenden hätten die Täter vor Gericht überhaupt nie etwas eingestanden. Sie hätten allenfalls ihre Taten als „militärische Notwendigkeiten“ gerechtfertig. Ohne die Zeugnisse der Überlebenden wären in der Nachkriegszeit wahrscheinlich noch mehr Freisprüche erfolgt, wären noch mehr ehemalige Handlanger des Regimes rehabilitiert und ihnen noch mehr Orden umgehängt worden. Und die Welt hätte die Namen von Orten wie Auschwitz, Dachau oder Mauthausen, die zu Synonymen der Vernichtung wurden, noch rascher vergessen. Ja, es stimmt. Den Überlebenden wurde geraten: „Vergesst doch die Vergangenheit. Ihr habt überlebt. Schaut jetzt in die Zukunft.“ – Was für eine ungeheuerliche Zumutung: Jemand, der alle seine Angehörigen, Freunde, Verwandte verloren hat, dem seine Sprache, sein Hab und Gut geraubt wurde, soll nun vergessen, was geschehen ist? Wie sollte das funktionieren? Die Nachkriegsgesellschaft machte es ihnen vor. Nathan Durst schrieb: „Die Welt reagierte auf die Endlösung mit Schweigen. Statt die vom Tod zurückgekehrten zu umarmen und zu trösten, wurden die Überlebenden von der Gesellschaft von einer ‚Verschwörung des Schweigens’ empfangen“. Das Gedächtnis der Opfer wahrzunehmen und ihre Erinnerung zu bewahren, hat sehr wohl etwas mit unserer Aufmerksamkeit für Ereignisse und Orte der Vergangenheit zu tun, aber eben auch mit der Anerkennung und Wertschätzung von Menschen, die zu Opfern wurden. Gemeint sind hier jene Menschen, die in einer gnadenlosen Zeit durch Mord und Totschlag, durch Gas oder Fallbeil, durch den Henkersstrick oder die Todesspritze ihr Leben verloren haben. Was dies für uns und unsere Welt bedeutet, und wie mit dieser Geschichte umzugehen ist, ist eine Frage unserer Erinnerungskultur. Zwar wissen wir, dass wir das Geschehene nicht durch das Zusammenfügen von Bruchstücken erklären und heilen können. Wir wissen, dass das Geschehene nicht ungeschehen gemacht werden kann. Wir können nichts „wieder gut machen“. Wir können aber versuchen, die vergangenen Verbrechen zu lokalisieren, wir können Erinnerungsfragmente mit Demut und Wertschätzung sammeln und aufbewahren, wir können versuchen, den Opfern wieder ihr Gesicht und ihren Namen zu geben. Das ist vielleicht wenig, aber dennoch ungeheuer wichtig und unschätzbar wertvoll. Denn nur so eröffnet sich uns die Chance, die Gegenwart und die Zukunft menschlicher zu gestalten. Und dies liegt in den Händen der heutigen und der kommenden Generation. Die Grundlage für all das ist das Menschenrecht auf personale Erinnerung, denn mit der Erinnerung geben wir den Menschen nicht nur ihren geraubten Namen wieder sondern auch ihre Würde und Ehre. Tun wir also dies wenige, beharrlich und konsequent – spät aber doch. Danke. Hvala lepa. . Quellen: Peter Gstettner: Erinnern an das Vergessen. Gedenkstättenpädagogik und Bildungspolitik. Klagenfurt/Celovec 2012 Maria Halmer, Anton Pelinka, Karl Semlitsch (Hg.): Was bleibt von der Shoah? Kontext, Praxis, Nachwirkungen. Wien 2012
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