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2011-04-20 Ulrich Grober: „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“ Eine Rezension . Die atomare Katastrophe in Japan zeigt drastisch , was es mit der Mär vom „billigen, sauberen und sicheren Atomstrom“ auf sich hat. Wer tiefer schürfen will und für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur optiert, für den/ die ist das Buch von Ulrich Grober die ideale Lektüre. Insbesonders seit der frühen Neuzeit ist die Ideologie des totalen „Herr-Seins“ über die Natur Kernelement bürgerlichen Denkens. Im Cartesianismus („Cogito ergo sum“, „Ich denke, also bin ich“) fand dieser Gewalt-approach seine reinste, klassische Ausprägung. Descartes spricht unverblümt von „Herrn und Eigentümern (!) der Natur“ (S.70). Der mainstream der aufstrebenden und in die ganze Welt expandierenden Bourgeoisie sah in der Natur nichts als „Rohstoff“ für ihre auf dem Profitprinzip basierende Produktion. Die Vorratskammer der Natur wurde und wird buchstäblich ausgeräumt bis zum Geht-nicht-mehr. Am Raubau des Holzes und dem Rückgang/ Verschwinden der Wälder wird dies besonders deutlich. Ulrich Grober schildert mit viel Detailwissen wie es zu den ersten Gegenreaktionen kam - u.a in Venedig, Frankreich und England. Geistig wird dabei insbesonders an Spinozas Pantheismus – „substanstia sive natura sive deus“, die Substanz ist gleich der Natur ist gleich Gott – angeknüpft, ja auf Franz von Assisi und dessen geschwisterlichen Umgang mit der Natur („Bruder Sonne, Schwester Mond“) zurückgegriffen. Bei ihm finden sich auch die ersten Vorformen des Begriffs „Nachhaltigkeit“ (S.43 ff). Das nicht ausbeuterische Verhältnis zur Natur ist oft mit Gedanken über nicht-ausbeuterische Gesellschaftsformen kombiniert – etwa in der „Ethik“ Spinozas (S.74 f.) Eine wichtige Rolle kommt John Evelyn zu. Sein Schlüsselwerk „Sylva, or Discourse on Forest Trees“ (Wald, 1664) wird zum Bezugspunkt für viele. Bei Hans Carl von Carlowitz 1713 taucht zum ersten Mal der Begriff Nachhaltigkeit auf: „Conservation und Anbau des Holtzes, daß es eine continuirliche und nachhaltende Nutzung gebe“ (S.116). Allmählich verdichtet sich der Begriff, gewinnt an Farbe und Konturen. Bei Herder, in der Weimarer Klassik und Alexander Humboldt findet er die schönste Ausgestaltung. Ulrich Grober zitiert auch den Kardinalsatz von Marx aus dem „Kapital“: „Die kapitalistische Produktion entwickelt nun die Technik und die Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (S.186). Ein schönes Beispiel, dass Marx und der „Wärmestrom des Marxismus“ keiner „produktivistischen Ideologie“ anhingen und auf die Natur „vergaßen“. Die Entdeckung der fossilen Brennstoffe verschaffte dem kapitalistischen Produktions- und Konsummodell eine „energetische Atempause“ – wenn auch mit schlimmen Auswirkungen für Mensch und Natur. Bereits 1930 (!) fand in Berlin eine „Weltenergiekonferenz“ statt, wo diese Entwicklung problematisiert wurde. Einer ihrer Teilnehmer war niemand geringerer als Albert Einstein. Aus Anlass der Konferenz mahnte der Nobelpreisträger im „Berliner Tagblatt“: „Die fossilen Kohlen sind ein einmaliges Erbe, das uns zugefallen ist, und sind der Erschöpfung ausgesetzt“ (S.192). Heute ist es völlig obsolet, den fossilen und nuklearen Energiestrang weiterverfolgen zu wollen. Eine solare „kopernikanische Wende“ ist – bei Strafe des Untergangs für den Planeten – unerläßlich. Wenn eine – solidarische – Kritik an dem hervorragenden und mit viel Liebe zum Thema geschriebenen Buch anzubringen ist, dann vielleicht die, dass es zu positiv mit dem Brundtlandreport und seinem Konzept der „sustainable development“ verfährt (S.249ff). Das Buch nimmt jedoch ebenso stark Bezug auf Evo Morales, die globalisierungskritische Bewegung und zitiert explizit die Losung vom Klima-Gegengipfel in Kopenhagen: „resist, mobilize, transform“ (S.282). Mein Tipp: jeder/jede, der nach Alternativen zum kapitalistischen Energie-Schlamassel sucht, wird in Ulrich Grobers Buch vielfach fündig. . .
Ulrich Grober: 298 Seiten. € 22,50 . . . . . .
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