![]() | Independent Carinthian Art & Cult | |
Thu May 01 2025 14:37:13 CET |
|
2009-05-27 Ebensee: Patentrezept Aufklärung? Vom fragwürdigen Nutzen pädagogischer „Kampagnen" gegen jugendlichen Rechtsradikalismus: Die Aufgabe des Gegensteuerns einfach an die Schulen zu delegieren, verkennt die gesellschaftliche Dimension des Problems. . Angesichts der Vorfälle in Ebensee hat Bundeskanzler Faymann verstärkte Aufklärung in den Schulen gefordert und eine „Aufklärungskampagne" angekündigt. Das klingt entschlossen und tatkräftig. Dennoch muss mehr und anderes getan werden, wenn man wirklich erfolgreich Rechtsradikalismus [kritische Anmerkungen zu diesem Begriff von Walther Schütz → Über Rechtsextremismus und Radikalismus ] und NS-Gedankengut bekämpfen möchte. Zunächst ist daran zu erinnern, was ohnehin auf der Hand liegt: Der Rechtsradikalismus unter der Jugend ist die Folge des Rechtsradikalismus in der ganzen Gesellschaft, oft noch zugespitzt durch einen natürlichen jugendlichen Radikalismus und den Wunsch nach Tabubrüchen. Die Aufgabe, gegenzusteuern, lässt sich daher nicht einfach an die Schule delegieren. Die „politische Alphabetisierung der Gesellschaft" (Enzensberger) muss als ein gesamtgesellschaftliches Projekt angegangen werden. Ferner ist zu fragen, was eine neue „Aufklärungskampagne" eigentlich soll. Es gibt bereits ausreichend Lehrplanbestimmungen und eine Vielzahl von schulischen und außerschulischen Angeboten, die Lehrkräfte und Schüler/innen nützen können, um (sich) aufzuklären (vgl. z.B. die auf der Internetplattform von „Zentrum polis" gesammelten Aktivitäten → www.politik-lernen.at). Eine weitere Kampagne, so steht zu befürchten, würde als „Pflichterfüllung" schnell abgehakt werden und damit wirkungslos verpuffen. Auch ist der Begriff „Aufklärung" in diesem Zusammenhang zu hinterfragen. Ganz wörtlich meint er ja, jemandem etwas mitzuteilen, was diese/r nicht weiß, jemandem durch neue Informationen die Augen zu öffnen. Es darf bezweifelt werden, ob das die Art von Wissen ist, das jene brauchen, die mit dem Rechtsradikalismus sympathisieren oder Nazi-Parolen nachbeten. Denn man kann rechtes Gedankengut kaum von bestimmten psychischen Dispositionen trennen, die auch in anderer und oft harmlos wirkender Form als Abwehr des Anderen oder als Neigung zu Gewalt auftreten. Wer rechtsradikales Gedankengut in den Köpfen von Jugendlichen bekämpfen will, muss also zunächst den Weg zu ihren Herzen finden. Sonst werden sie sich verschließen und die „Aufklärung" zum Anlass nehmen, ihre Positionen noch zu festigen. Lernen ist, wie Paulus Hochgatterer kürzlich im Standard zu Recht feststellte, nachhaltig nur als Widerstand möglich. Eine falsch geführte Aufklärungskampagne kann den notwendigen jugendlichen Eigensinn nur allzu leicht gerade dagegen mobilisieren, was eigentlich gelernt werden sollte. Deswegen ist „Aufklärung" nur in dem Sinne pädagogisch wertvoll, wie Kant und die Philosophen des 18. Jahrhundert sie definiert hatten: als Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit – das heißt aber als selbstbewusster und selbstbestimmter Akt, als eigene Willensentscheidung. Das pädagogisch zu fördern, braucht Energie, Fantasie und Geschick und einen langen Atem. Billiger ist Aufklärung, also politische Bildung im vollen Sinn, nicht zu haben. Und damit sind wir bereits bei einem weiteren Aspekt, der in der bisherigen Debatte zu kurz gekommen ist. Um wirksam zu sein, darf politische Aufklärung nicht bloß als Kampagne daherkommen, sondern sie muss strukturell im Bildungssystem verankert sein. Ein Pisa-Test ... Lange Zeit war Politische Bildung nur ein „Unterrichtsprinzip". Man sagt oft ironisch, wenn man eine bildungspolitische Maßnahme effizient verhindern will, macht man sie zu einem Unterrichtsprinzip. Denn dann fühlt sich im Grunde niemand zuständig und nichts geht wirklich weiter. Nun hat man sich entschlossen, Politische Bildung in den Geschichtsunterricht zu integrieren – freilich ohne diesem Fach mehr Stunden zuzugestehen. Die Halbherzigkeit wird also fortgesetzt. Es gibt viele ausgezeichnete Lehrerinnen und Lehrer, nicht nur im Fach Geschichte, die sich selbst fortbilden (was oft nicht so leicht ist, da ihr Engagement zu einem Entfall von Unterricht führt), die Projekte durchführen und Tag für Tag mühsame „Basisarbeit" leisten – nicht immer von Erfolg gekrönt und meist unbedankt. Doch es gibt eben auch die strukturellen Probleme, die bis heute eine systematische politische Bildung verhindern. Denn die Verbindung von Persönlichkeitsentwicklung, Entwicklung von Werthaltungen, Einstellungen und notwendigen Kenntnissen kann nur gelingen, wenn gut ausgebildete Lehrkräfte in einem entsprechenden Schulklima mit ausreichendem Zeitbudget arbeiten können. Diesen Grad an Professionalität haben wir aber leider noch nicht erreicht. ... zur Politischen Bildung? Die Unzulänglichkeiten setzen sich fort in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Es gibt kein Studium der Politischen Bildung, das heißt, man hält eine gründliche fachliche Ausbildung für Politische Bildung nicht für notwendig. Eine weitere Folge ist aber auch, dass keine Mittel bereitstehen für die systematische Forschung über die Voraussetzungen und geeigneten Methoden, politische Bildung umzusetzen. Seit vorigem Jahr gibt es zwar erstmals einen Lehrstuhl für Didaktik der Politischen Bildung an der Universität Wien, keineswegs jedoch an allen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, wo Lehrkräfte ausgebildet werden. Auch das erschwert – trotz des großen Einsatzes vieler Wissenschaftler/innen – ein systematisches Arbeiten. An Politische Bildung für alle Lehrkräfte, unabhängig von ihrem Fach, ist gegenwärtig gar nicht zu denken. Doch wie anders will man gewährleisten, dass das Unterrichtsprinzip Politische Bildung tatsächlich in jedem Fach berücksichtigt wird? Wie will man das Zusammenwirken der Lehrkräfte und fächerübergreifendes Arbeiten sicherstellen, wenn es bereits an der Ausbildung krankt? Ob die jüngsten Ereignisse die Politik ausreichend aufrütteln, systematisch und strukturell neue Wege zu gehen, darf nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Vielleicht würden wir einen Pisa-Test zur Politischen Bildung brauchen, um genügend öffentlichen Druck erzeugen zu können. Denn „Politische Aufklärung" darf nicht nur über isolierte Kampagnen vermittelt sein, sondern muss selbstverständlicher Bestandteil des schulischen Alltags und systematischer fachlicher Arbeit werden. . Der Beitrag ist zuerst erschienen auf → http://derstandard.at/ bzw. in DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2009
mimenda, 2009-06-01, Nr. 4505 wenn die jugend am herzen gerührt werden muss, um es zu erweichen und sie zu erreichen, müssten wir uns dann nicht auf ganz andere weise um sie kümmern?
|
|