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2006-04-09 Die Freiarbeit Erfahrungen mit Montessoripädagogik an der HS 4 in Villach Seit 1997 bieten wir an unserer Hauptschule reformpädagogischen Unterricht mit Elementen der Montessori- und Freinet-Pädagogik an. Die Schüler/innen von mittlerweile 5 Abgängerklassen besuchen die verschiedensten weiterführenden höheren und mittleren Schulen oder stehen bereits als Lehrlinge bzw. sog. ausgelernte Arbeitskräfte im Berufsleben. Im heurigen Schuljahr 2005/06 wird in 6 von insgesamt 12 Klassen reformpädagogisch unterrichtet. Die Erfahrungen mit diesem anderen Weg des Lernens sind also mittlerweile sehr groß, wobei die positiven bei der Mehrzahl der Eltern, Schüler/innen und Lehrer/innen überwiegen. Die Kernelemente dieses Unterrichts, der – wie es Claus-Dieter Kaul einmal formuliert hat – ein Auf-richten statt Unter-richten sein sollte, sind folgende:
In den täglichen 1 - 3 Freiarbeitsstunden – die die „vorbereitete Umgebung“ mit frei zugänglichen Lernmaterialien zur Voraussetzung haben – lernen die Schüler/innen in einem hohen Grad, sich selbständig Wissen anzueignen und zu kooperieren. Wie wichtig ihnen die fest im Stundenplan verankerte Freiarbeit ist, merken wir Lehrer/innen immer dann, wenn wir diese Stunden für andere Gegebenheiten wie z. B. Referate, Film schauen, Proben usw. verwenden müssen oder wollen. Da hagelt es meistens Proteste. Aber lassen wir die Schüler/innen selber sagen, was sie an der Freiarbeit so positiv finden: Basti: Wenn ich weiß, dass bald Freiarbeitsstunde ist, freue ich mich schon sehr darauf, was z.B. bei einer Mathe- oder GW-Stunde nicht der
Fall ist. Eine Freiarbeitstunde ist wie „keine Unterrichtsstunde“ haben. Freiarbeit ist einfach klasse! Und ich glaube, dass die anderen aus meiner Klasse
das auch so empfinden. Am besten ist es, wenn Luka, David und ich draußen bei den Tischen sind, denn dann haben wir viel Spaß und es kann sein, dass
wir manchmal gar nichts tun – aber meistens arbeiten wir was. Anja,Katharina und Madlen: Es ist so cool, dass man selber entscheiden kann, wie man sich die Arbeit einteilt, Harald und Chris: dass man während des Unterrichtes auch Spiele selber erfinden oder gemeinsam verschiedene spielen kann; Eva und Alex: Meistens haben wir eine ruhige Arbeitsatmosphäre und man darf sich aussuchen, mit wem oder was man arbeitet. Als ich bei den Schülerbefragungen einige Antworten vorlas, sagte Basti: „Schreiben Sie, die Montessoriklasse ist die beste Wahl, denn da hat man auch während des Unterrichtes Spaß und trotzdem lernt man viel. Aber das mit dem Tratschen dürfen Sie nicht schreiben, die streichen uns dann womöglich die Freiarbeit. Und wenn sie das abschaffen, dann wär’s mit meiner Freundlichkeit vorbei, dann würden sie mich kennenlernen, dann streike ich aber so!“ Wir lachten alle und ich freute mich über diese klar formulierte Stellungnahme des 14jährigen, der - wie viele andere Schüler/innen auch - außerordentlich positive Rückmeldungen bei der berufspraktischen Woche bekommen hat – weil er so selbständig arbeitete, so interessiert und höflich war, bei der Arbeit mitgedacht und anderen Angestellten von sich aus geholfen hat. Das ist nun wirklich nichts Besonderes, werden sich viele denken. Erwähnenswert finde ich es deshalb, weil eine seit Jahren und immer wieder hartnäckig geäußerte Kritik an unserer Unterrichtsform die ist: „ Wie werden diese Schüler später am Arbeitsplatz tun? Die spielen ja nur und arbeiten nicht ernsthaft. Das Leben ist nicht ‚Montessori’!“ Auch ich hatte in den ersten Jahren natürlich Angst, dass unsere Montessorischüler zu wenig können, in den weiterführenden Schulen Probleme haben werden, weil sie das „Stoff pauken“ nicht gewöhnt sind, sie besonders in der 3. Klasse einfach so viel Zeit mit Reden „verplempern“ usw. - und ließ mich immer wieder von Eltern und Kolleg/innen verunsichern. Besonders nachdenklich machte mich aber vor allem der Umstand, dass die Schüler/innen selber kritisierten, dass sie zu wenig Druck hätten und dass ich „härter durchgreifen“ sollte, wenn sie faul seien, weil sie ja schließlich die Matura machen wollen. Doch hat Basti ganz klar erkannt, worum es eigentlich bei emanzipatorischer Bildung geht und wie sehr sie bedroht ist. Dazu der Erziehungswissenschafter Erich Ribolits: Der Mensch ist in der Lage, sich und sein Verhalten zum Inhalt seines Denkens zu machen und sein Verhalten an Kriterien zu messen, deren Wert er durch vernünftige Reflexion erkannt hat. Sein Gehirn ist also nicht bloß ein gewaltiger Informationsspeicher – quasi ein biochemischer Supercomputer;….. der Mensch entscheidet selbst, ob und in welcher Form er sein Wissen verwenden will. Er kann sein Wissen selbstreflexiv anwenden; das heißt, er kann – und muss in letzter Konsequenz auch – für sein Tun und Lassen Verantwortung übernehmen. Bildung ist das Heraustreten des Menschen aus der Sphäre des bloßen Nutzens. Über Bildung gewinnt sich der Mensch selbst als freies Wesen und er erkennt – wie es der deutsche Erziehungswissenschafter Heinz-Joachim Heydorn einmal formuliert hat - ,“dass die Ketten, die ihm ins Fleisch schneiden, vom Menschen angelegt sind, und dass es somit auch möglich ist, sie zu sprengen.“ Und Maria Montessori sagt: Niemand kann frei sein ohne selbstständig zu sein. Dieser Artikel erschien im „Montessori-Newsletter“ im Jänner 2006. Teil 2: Die genaue Beschreibung der reformpädagogischen Unterrichtsform an der HS 4 finden Sie auf der homepage Zum 2. Teil
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