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2005-12-05 Das Anwendungsgespenst Links zum Thema kärnöl-Veranstaltung: Der kulturelle Exodus aus Österreich
"Faraday and Maxwell Wozu ist dies alles nutze?", fragte der englische Premierminister, als der Physiker Michael Faraday (1781-1867) ihm die überraschenden Phänomene des Magnetismus und der Elektrizität demonstrierte. "Sir", antwortete Faraday, "I don't know, but I know, one day you will tax it." Beginnen wir unsere Überlegungen mit einer Unterstellung: Selbst nachdenkliche Zeitgenossen scheinen vom kurzatmigen Pragmatismus der gegenwärtigen Politik zu sehr vereinnahmt zu sein, als daß sie die Wissenschaftspolitik grundsätzlicher Überlegungen für wert befänden. Dies ist insoferne bemerkenswert, als die Wissenschaftspolitik stärker als andere Politikfelder an der Peripherie tagespolitischer Aufmerksamkeit liegt und daher eigentlich Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Offenheit des politischen Diskurses als Möglichkeiten unterstellt werden könnten. Daß dieser offene Diskursraum von keiner der betroffenen Parteien mit neuen und grundsätzlichen Ansätzen zur Wissenschaftspolitik besetzt wird, verwundert. Mehrere Gründe mögen dafür maßgeblich sein:
Zudem stehen die Forschungsrealität und Konzepte der derzeitigen wissenschaftspolitischen Auseinandersetzung in einem Verhältnis der Ungleichzeitigkeit zueinander. Die strukturellen Veränderungen und Transformationen der wissenschaftlichen Wissensproduktion finden keine adäquate Entsprechung auf (wissenschafts-)politischer Ebene. An der globalen Einschätzung und Sicht der Bedingungen der Wissensproduktion, wie sie zu Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben war, hat sich wenig geändert. So war das Modell - bis heute - geprägt vom damaligen Schwergewicht auf der physikalischen Forschung und dem, was man als "big science" beschreiben konnte. Entsprechend wurden wesentliche neue Bereiche, die seither entstanden sind - etwa die Informationstechnologien und die Bio(-technologie-)wissenschaften -, unter denselben wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen diskutiert wie die physikalischen Wissenschaften. Die Inadäquatheit der wissenschaftspolitischen Modellbildung kommt schließlich darin zum Ausdruck, daß sich neu entstandene Forschungsfelder spezifischen Maßnahmen der Forschungs(-förderungs-)politik entziehen, da diese Maßnahmen selbst keine Entsprechungen im Wissensproduktionsprozeß dieser Forschungsfelder aufweisen. Konkret: Wissenschaftspolitische Maßnahmen, die sich bisher für Bereiche wie etwa die Festkörperphysik als zielführend erwiesen haben, müssen nicht zwangsläufig auf Gebiete der Biotechnologie übertragbar sein. Werden in Österreich wissenschaftspolitische Diskussionen geführt, dann zu zwei damit verbundenen Bereichen: zu Problemen der Universitäten und Fragen der Technologiepolitik (unter die die Wissenschaftspolitik verbal subsumiert wird). In diesen beiden Bereichen gibt es konkreten politischen Handlungsbedarf, der sich aus sozialen und ökonomischen Problemen ableitet. Politik setzt sich mit Forschung deshalb auseinander, weil die Ergebnisse der Forschung oder vielmehr deren Anwendungen Einfluß auf gesellschaftliches Geschehen nehmen - auf das produktive Geschehen, die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums. Angesichts der dominanten ökonomischen Prägung von Politik, somit auch von Wissenschaftspolitik, entsteht Frustration über die Steuerbarkeit der wissenschaftlichen Wissensproduktion und ihrer Umsetzung in volkswirtschaftlichen Reichtum. Eine Politik, die Pursuit of happiness mit Creation of wealth gleichsetzt, kann nicht anders, als Wissenschaft ausschließlich als instrumentelles Verhältnis gegenüber der Natur zu begreifen. Sobald nun aber dieser instrumentelle Charakter von Wissenschaft nicht linear transformierbar ist in das, was wir Creation of wealth genannt haben, entsteht ein Vakuum im Handlungsraum der Politik. Sie verschwindet. In einer demokratischen Gesellschaft, deren Funktionalitäten zunehmend auf der Produktion wissenschaftlichen Wissens basieren, ist das Verschwinden von Politik aus dem Forschungsbereich von ähnlich gravierender Bedeutung, wie sie der Rückzug staatlicher Politik aus Bereichen wie der Sozialpolitik darstellen würde. An die Stelle staatlicher Politiken treten die partikulären Interessen und Strategien jener gesellschaftlichen Akteure, die Forschung weitgehend (ausschließlich) unter dem Primat des ökonomischen Verwertungszusammenhangs begreifen (müssen). Alle - je reicher, je lauter - schreien heute danach, für ihr Geld Gewinne erzielen zu wollen. Das ist so neu nicht und für jene nicht unvernünftig. Shareholder verlangen nach dem Shareholdervalue. So, wie das Gesetz es verlangt - das Gesetz der "Marktwirtschaft". Vor den verschlungenen Pfaden dieses Gesetzes steht heute auch die Forschung. Doch sie bittet nicht um Einlaß - sie verlangt draußen zu bleiben. Denn dieses Gesetz ist ein Gespenst - und sein Name lautet: Anwendungsnutzen. Worin besteht nun das Problem? Doch wohl nicht darin, daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zu Anwendungen führten, mittelbar oder oftmals auch unmittelbar. Es ist müßig, Beispiele aus diesem Jahrhundert zu nennen. Noch immer ist die "Bombe" allgegenwärtig. Und die meisten Probleme der "angewandten Forschung" resultieren ihrerseits aus Anwendungen wissenschaftlichen Wissens. Forschung trägt allemal die Potentialität der Anwendung in sich - den Nutzen. Das Problem liegt da, wo Forschung bloß unter dem Aspekt ihres unmittelbaren und ökonomischen Nutzens gesehen wird und in der Folge auf diesen ausgerichtet werden soll. Die Orientierung hin auf Anwendungswissen, auf den Nutzen der Forschung, ist vampirhaft; die Ausrichtung von Forschung auf Anwendung leistet das Verlangte so lange, als die Adern sich noch öffnen lassen und der Saft des Anwendungswissens noch fließt. Wenn Lucent oder Novartis - um willkürlich zwei Beispiele internationaler Konzerne der Hochtechnologie herauszugreifen - in Forschung investieren, so tun sie dies, um ihre Maktfähigkeit zu erhalten und durch Innovationen zukünftige Märkte für neue Produkte zu erschließen. Internationale Konzerne investieren in Forschung in einem Maßstab, der für Universitäten weitgehend unzugänglich geworden ist. Universitäten - und ich spreche hier auch von den österreichischen - forschen heute in vielen Fällen um Jahre hinter dem Stand des Wissens und der technisch-apparativen Möglichkeiten jener High-Tech-Industrien, für die sie ihre Absolventen ausbilden. Welchen Sinn macht es dann noch, auch und gerade an die Universitäten den Appell zu richten, ihre Tätigkeiten verstärkt auf Anwendungen, auf möglichst unmittelbar erwartbaren Nutzen auszurichten? Fixieren wir, um uns über die extremen Positionen Klarheit zu verschaffen, das Spannungsfeld dieser Diskussion. Am einen Pol eine quantitativ unermeßliche Wissensproduktionsindustrie, am anderen Pol eine ästhetische Askese des Forschens, die sich der Anerkennung der historischen Gegebenheit der Marktförmigkeit des Produktes Wissen verweigert. Teilt man auch mit der Mehrheit der Forscher die Einsicht in geschichtlich und gesellschaftlich Gegebenes, so folgt daraus noch nicht, Wissen, das forschend zutage gebracht wird, nur in einer Dimension begreifen zu können: in der Transformation dieses Gebildes in ein Produkt des Marktes, ein Konsumgut unter anderen. Denn: dieser Transformation korrespondiert ein verdinglichtes Bewußtsein beim Forscher, das für die Produktion selbst nur insofern nicht zum Problem wird, als diese nur innerhalb ihrer produktorientierten Grenzen begriffen wird. Wissenschaft jedoch ist, wenn sie Wissenschaft bleiben will, unmittelbar daran geknüpft zu wissen, was die Forschung selbst nicht weiß. Denn nur im Bewußtsein ihrer eigenen Grenzen wird sie an diesen produktiv. Aus heureka! 4/98 Dr. Wolfgang L. Reiter ist Physiker, Lehrbeauftragter an der Universität Wien und arbeitete im Wissenschaftsministerium.
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