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2005-11-03 Kuba ist eine Reise wert!! In unserer Kindheit hörten wir viel Schlechtes über Kubas Staatschef Fidel Castro. Während unserer langjährigen Tätigkeit in Brasilien lasen wir dann verschiedene Bücher über Kuba, in denen berichtet wurde, dass das Land die Analphabetenrate auf fast Null reduziert hat, die Kindersterblichkeitsrate unter der der USA liegt, dass es keine Elendsviertel und keine Straßenkinder gibt, auch keine Kinderarbeit, weil alle in die Schule gehen können, das gute gesundheitliche Versorgung allen zugänglich ist, dass das Recht auf Arbeit für alle garantiert ist, das niemand Hunger leidet usw., kurzum - ein für lateinamerikanische Verhältnisse unglaublicher Wohlstand. Seit damals wollten wir uns selbst ein Bild von Kuba machen und heuer bot sich eine Gelegenheit, Land und Leute kennen zu lernen. Unsere Erfahrungen sind naturgemäß nur Bruchstücke eines facettenreichen Landes, von dessen Kultur und Leistungen viel zu wenig bekannt ist. Bildung Wir interessierten uns zunächst für den Bildungsbereich, der von der Regierung vorrangig behandelt wird. Alle Kinder und Jugendlichen erhalten eine gute und kostenlose Ausbildung bis zur Universität. Während bei uns kleine Schulen geschlossen werden, gibt es auf der Insel zurzeit 27 Volksschulen mit nur einem Kind und einem Lehrer! Wer sein Universitätsstudium beendet, muss einen zweijährigen Sozialdienst absolvieren, danach garantiert der Staat eine Arbeitsstelle. Der Staatschef lässt es sich auch nicht nehmen, jährlich den Pflichtschulabgängern eines Bezirkes die Zeugnisse zu überreichen – und das mit überraschender Herzlichkeit und persönlichem Engagement. Nach dem Motto: „Bildung ist Vorraussetzung für Freiheit“ ermöglicht Kuba trotz seiner Armut noch Tausenden Jugendlichen aus Afrika und Lateinamerika ein kostenloses Universitätsstudium. Im August erhielten z.B. 1.610 ausländische Medizinstudenten ihr Diplom. Weiters entsendet Kuba immer wieder Hunderte von Lehrern, Ärzten und anderen Fachleuten in verschiedene ärmere Länder. Solidarität steht an oberster Stelle. Gesundheit für alle Befreundete Ärzte aus Osttirol gaben uns Spritzen mit auf die Reise, die fast 2 Koffer füllten. Der Zollbeamte blickte uns verwundert an und lächelte erfreut nach unserer Erklärung: ein Geschenk für ein Spital. Bei der Übergabe bekamen wir einen Einblick, wie schwer es Kuba durch den schon Jahrzehnte dauernden Wirtschaftsboykott der USA hat, sein weltweit anerkannt vorbildliches Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten, das allen kostenlos zur Verfügung steht. Die Kubaner sind sehr stolz, dass es bei ihnen keine Zweiklassenmedizin gibt – mehrmals zeigten uns Menschen im Landesinnern ihre Operationsnarben und erzählten, dass sie dafür nichts bezahlen mussten. In den Krankenhäusern ist alles Material knapp, die Ärzte schreiben die Rezepte auf der Rückseite von bereits gebrauchtem Papier, notwendige Reparaturen und Renovierungen gehen langsam. Aber Not macht erfinderisch und alles wird optimal eingesetzt, nichts verschwendet. Improvisation ist allgegenwärtig. Zunehmend wird auch die „medicina verde“ (grüne Medizin) eingesetzt, wobei man auf uraltes Heilkräuterwissen zurückgreift. Land und Menschen sind arm, das Leben bescheiden. „Vieles ist noch schwierig für uns, seit Jahren will ich meine Wohnung renovieren, kann mir aber das Baumaterial nicht leisten“ erzählt uns Lorenza Ecobar. Sie ist über 70 und hat die Zeit vor der Revolution 1959 erlebt: „Damals ging es uns sehr schlecht. Die Eltern schufteten für einen Hungerlohn auf der Zuckerrohrplantage eines amerikanischen Großgrundbesitzers, wir Kinder mussten helfen. Es gab keine Schule und viele Frauen überlebten von der Prostitution. Nach der Revolution ging es uns viel besser, ich habe Schneiderin gelernt und meine Kinder konnten ein Universitätsstudium abschließen.“ Die Monatslöhne liegen zwischen 300,- und 800,- Pesos, das entspricht etwa 13,- bis 33,- €. Das ist wenig, reicht aber für die Grundbedürfnisse, denn abgesehen von der kostenlosen Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten alle monatlich eine gewisse Menge Grundnahrungsmittel gratis, Kinder noch zusätzlich 1 Liter Milch/Tag u.a. In den meisten Familien arbeiten beide Elternteile, daher gibt es 2 Einkommen. Die Lebenshaltungskosten sind billig - Strom kostet etwa 20,- Pesos/Monat, Wasser 3,- Pesos/Monat. In den Betrieben und Schulen werden auch Gratismahlzeiten serviert. Bioparadies Seit einigen Jahren gibt es Bauernmärkte, auf denen Obst, Gemüse, Fleisch u. a. angeboten wird. Das kommt teils von Genossenschaften, teils von Kleinbauern, denen etwa 30% der Flächen gehören, auf denen viele auch Tabak produzieren. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Kuba den wichtigsten Abnehmer seiner Produkte und die Wirtschaftshilfe von einigen Millionen Dollar jährlich. „Das war sehr hart“ erzählte uns Miguel Salzines, Obmann einer kleinen Genossenschaft, die seit 8 Jahren in Havannas Vorort Alamar „urbane Landwirtschaft“ betreibt. „Bis dahin funktionierte eine industrialisierte Landwirtschaft mit riesigen Monokulturen, hauptsächlich Zuckerrohr und Zitrusfrüchte, und viel chemischen Dünger und Spritzmitteln. Gemüse bekamen wir in Dosen aus Osteuropa. Plötzlich gab es das alles nicht mehr. Wir waren auf uns selbst gestellt und begannen mit biologischer Landwirtschaft, heute sind wir sehr froh darüber.“ Tatsächlich gelang Kuba dieses weltweit größte Bioexperiment in einer beispielhaften Zusammenarbeit zwischen Forschern, Bauern und Verwaltung, und heute werden die Technologien auch in anderen Ländern erfolgreich eingesetzt. Derzeit hat die Genossenschaft, die wir besuchten, 83 Mitglieder (darunter 8 Akademiker und 20 Agrartechniker), die auf 2,7 ha, inmitten von Wohnblöcken, rein biologisches Gemüse, Heilpflanzen, Blumen, spirituelle Pflanzen und Setzlinge produzieren und alles direkt an die Nachbarschaft verkaufen. Damit bekommen die Anrainer frische Produkte zu günstigen Preisen, Transporte werden vermieden und durch den wirtschaftlichen Erfolg erhalten alle 300,- Pesos/Monat mehr als in vergleichbaren Stellen. Noch mehr verdienen die Beschäftigten im Tourismusbereich durch Trinkgelder, denn bekommt jemand pro Tag nur einen Peso Convertible (der kubanischen Parallelwährung für Touristen, die statt dem Dollar eingeführt wurde und mit diesem 1:1 steht, ein Convertible entspricht 24,00 Pesos), dann ist das mehr als ein Chirurg oder Spitzenbeamter verdient. Dadurch entsteht auch eine gewisse Unzufriedenheit, doch nach Meinung unseres Freundes Eduardo Martinez ist das kein großes Problem, weil ein Teil der Trinkgelder für die Krebsforschung oder für Behinderten-Kinderheime u.a. gespendet wird. Jedenfalls ist der Tourismus zu einer der wichtigsten Einnahmequellen geworden, der aber auch von vielen kritisch gesehen wird. Hurrikan Kuba wurde Anfang Juli von einem verheerenden Wirbelsturm heimgesucht, aber es ist gelungen, die schlimmsten Folgen innerhalb kurzer Zeit weitgehend zu beheben. 40.000 Häuser, Stromleitungen usw. waren mehr oder weniger stark zerstört worden. Auch die Schäden in der Landwirtschaft waren beträchtlich, wie wir mit eigenen Augen gesehen haben. Unter den ausländischen Hilfsangeboten war auch eines der USA, die „großzügig“ 50.000,00 U$ Dollar anboten, was die Regierung postwendend zurückwies. Begründung: in derselben Woche vergab die US-Regierung über 30 Millionen US$ an amerikanische Radio- und Fernsehsender, die nur Propaganda gegen die kubanische Regierung machen. Seit der Revolution im Jahr 1959 versuchen US-Regierungen mit allen Mitteln die sozialistische Regierung zu stürzen, bisher ohne Erfolg. Die USA haben keine Botschaft in Havanna, aber ein großes Büro mit etwa 300 Leuten und einem Beauftragten, um ihre Interessen zu wahren. Was die alle machen weiß niemand. Freunde aus der brasilianischen Botschaft haben erzählt, das der Beauftragte vor kurzem zu seinem Abschied einen Empfang gab und auf das heftigste Fidel Castro kritisierte, was den Großteil der Diplomaten empörte und veranlasste, sich noch vor dem Buffet zu verabschieden. Fidel Castro Ein besonderes Erlebnis war für uns die Teilnahme an der großen Feier zum Nationalfeiertag am 26. Juli im Karl Marx Theater. Jedes Jahr wird in einer anderen Stadt gefeiert, üblicherweise auf einem großen Platz mit vielen Delegationen. Ausnahmsweise war es dieses Mal im Theater, das etwas über 1000 Leute fasst. Offiziell wurde es mit Einsparungsmaßnahmen wegen dem Wirbelsturm begründet, es wurde aber auch gemunkelt, das wegen dem schlechten öffentlichen Verkehr und häufigeren Stromabschaltungen Unzufriedenheit herrscht und möglicherweise die Teilnahme gering gewesen wäre, was die Regierung nicht riskieren wollte. Wie auch immer – der brasilianische Botschafter, ein langjähriger Freund, schickte uns an seiner Stelle und so nahmen wir inmitten des diplomatischen Corps Platz. Die Stimmung stieg mit dem Einzug der Fahnenschwingenden Delegationen im typisch lateinamerikanischen Temperament bis schließlich Regierung und Parteispitze vorne Platz nahmen. Nach einem kurzen kulturellen Teil begann Fidel seine Rede, die 4 Stunden dauern sollte – eine beachtliche Leistung für seine 79 Jahre! Mit viel Energie und auch Witz kommentierte er Globalisierung und internationale Entwicklungen – und fragte u.a., was die US-Regierung wohl sagen würde wenn in kubanischen Gefängnissen Zustände herrschten wie in Guantanamobay? Dann begann eine Art Rechenschaftsbericht und er erklärte warum und wieso noch immer so viele Wohnungs- und Transportprobleme in Kuba bestehen, berichtete von den Plänen für das nächste Jahr, sprach von der Wirtschaftsblockade und den Folgen des Neoliberalismus für die Armen usw.. Wir fragten uns, ob wir hier auch einen Fall von Ankündigungspolitik erlebten, wie wir es gewohnt sind, aber später hat man uns öfters versichert, dass Fidel seine Versprechen einhält und einen sehr hohen Grad an Glaubwürdigkeit hat, nicht zuletzt wegen seines einfachen Lebensstiles. (Es gibt auch in Kuba Korruption und Freunderlwirtschaft, aber im internationalen Vergleich sind sie wahre Waisenknaben.) Am Schluss verließ der Grossteil der Diplomaten rasch das Theater, während die Leute nach vorne zur Bühne strömten, wir ebenfalls. Fidel kam uns entgegen und antwortete auf Fragen. Dabei hatte er nicht das Gehabe von inhaltsloser Wichtigkeit oder eines Caudillos (Führers), sondern eine kollegiale Art. Eines ist gewiss – Fidel ist eine Persönlichkeit mit Charisma, die unsere Epoche mitgeprägt hat, mehr als bei uns bekannt, bzw. anerkannt ist. Etwas hat in Kuba gefehlt, das uns erst nach der Rückkehr richtig bewusst wurde – die Werbung, die alles Glück der Erde mit dem Kauf irgendwelcher überflüssigen Konsumartikel verbindet. Im Fernsehen gibt es keine verblödenden Filme, sondern hauptsächlich Bildungsprogramme, Berichte und Dokumentarfilme. Es können auch ausländische Sender empfangen werden. Unabhängige Zeitungen und Medien existieren allerdings auf der Insel nicht, es gibt nur die offizielle Parteizeitung Granma und ähnliches, aber inwieweit die spezielle Situation Kubas das rechtfertigt, wagen wir nicht zu beurteilen. Das ist sicher ein Thema bei zukünftigen Reformen, ebenso wie einige andere Bereiche, z.B. die zentralistische Verwaltung. Wir haben manches beobachtet, das weiter zu hinterfragen wäre, aber auch verstanden, dass viele Probleme nur teilweise hausgemacht sind, weil vieles dem Land von außen aufgezwungen wurde. Nachdem es 1959 gelungen war, einen der blutrünstigsten Diktatoren Lateinamerikas zu stürzen, der von den USA bis zuletzt unterstützt worden war, atmete das Volk auf und schöpfte Hoffnung. Die Politik der USA zwang dann 1961 das bis dahin nichtkommunistische Kuba, Unterstützung in den sozialistischen Ländern zu suchen. Damit wuchs der Einfluss der UDSSR, aber im Vergleich zu den südamerikanischen Nachbarn, die unter US-Einfluss standen, entwickelte sich Kuba in vielen Bereichen wesentlich besser. Seit dem Zusammenbruch der UDSSR hat Kuba kaum Devisen um das Land zu modernisieren. Fabriken und Maschinen sind überaltert und können kaum erneuert werden, viele stehen still. Doch viele Kubaner sehen auch positive Seiten: „das ganze Land hat auf biologischen Landbau umgestellt, unsere Unabhängigkeit konnte erweitert werden, nachdem wir uns aus dem wirtschaftlichen, politischen und technologischen Einfluss der UdSSR gelöst haben und in politischer Hinsicht könnte schlussendlich ein „kubanischer Sozialismus“ entstehen, der unserer Kultur angepasst ist.“ Heute findet man in allen größeren Städten und Dörfern Genossenschaften, die aus vergifteten und verarmten Böden aus der Zeit der Monokultur wieder fruchtbares Land gemacht haben und dort Gemüse, Obst, Zuckerrohr und andere Nahrungsmittel produzieren. Der Lebensstandart der Landarbeiter scheint sich zu verbessern, da die Erträge unter den Mitgliedern aufgeteilt werden. Wir lernten zufällig eine Kleinbauernfamilie kennen, die uns spontan zu ihrer kleinen Familienfeier einluden. Sie hatten ein Schwein geschlachtet und dazu gab es Kochbananen. Später boten sie uns noch selbst gedrehte Zigarren an, die wir lieber ungeraucht als Erinnerung mitbrachten. Sie sind Selbstversorger und verkaufen ihren Tabak an die Regierung: „Der Preis ist gut und so haben wir genug zum Leben.“ In Kuba erlebten wir keinen einzigen Stau auf den Straßen, auf denen auch viele Pferdekutschen und Fahrräder unterwegs sind. Autos, die bei uns nur bei „Oldtimertreffen“ zu sehen sind, fahren in diesem Land tagtäglich und werden mit viel Geschick und Können repariert. Durch das bescheidene Leben fallen kaum Müllberge an. Die Kreativität und Überlebenskunst dieses Volkes ist beeindruckend. Der wachsende Tourismus birgt große Gefahren in sich, ist aber auch eine Chance, um Devisen ins Land zu bringen. Drogen und Prostitution sind dadurch im Ansteigen. Bleibt zu hoffen, dass auch diese Probleme von den Kubanern bewältigt werden, hoffentlich auch mit Unterstützung vieler bewusster Touristen. Kuba hat uns gezeigt, wie es möglich ist, auch unter einer auferlegten Wirtschaftsblockade, soziale und zunehmend auch ökologische Verbesserungen umzusetzen. Angesichts der weltweit zunehmenden Verarmung und Umweltzerstörung infolge der kapitalistisch orientierten Globalisierung kann es Beispiele bieten und Denkanstösse geben, wie eine andere Welt, in der der Mensch und nicht die Gewinnmaximierung in den Mittelpunkt der Politik gestellt wird, möglich ist. Nachdem viele unserer Gesprächspartner Interesse bekundeten, mehr Kontakte und Austausch mit Europa zu pflegen um beiderseitige Informationsdefizite abzubauen haben wir beschlossen, diesen Bericht zu schreiben und wir sind auch gerne bereit, unsere Fotos zu zeigen und mehr zu erzählen. Bannberg, im Sommer 2005. Chriselda & Johann Kandler
Dr. Bruno Prowaznik, Wien, 2005-12-10, Nr. 2188 Sehr geehrte Frau Kandler!
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