2004-10-19
„Yalla Ghabij, show me the camps!“
siehe auch:
Rausschmiss aus Gaza
2003 war ich im Zuge meiner Tätigkeit für Greenpeace im Libanon. Daneben hatte ich genug Zeit um mich auch mit Land und Leuten anzufreunden. Mein besonderes Interesse galt vor allem den 500.000 palästinensischen Flüchtlingen, die weg gesperrt in Ghettos und in einem Chaos von unterschiedlichen Milizen sich selbst überlassen sind.

Flüchtlingslager, Eingang
Von Ain el Tine, einem reichen Bezirk Westbeiruts, entlang der Küstenstraße bis tief hinein in die von der Hisbollah kontrollierte Beiruter Südstadt, vorbei an den mehr als lebensgroßen Bildnissen des Ajatollah Khomeini, im Elendsviertel Burj il Barajne, dass wohl mehr an das Trümmerfeld Kabuls erinnert als an einen Stadtbezirk in einer eigentlich westlich orientierten Millionenmetropole, haben wir die Tore des Flüchtlingslagers Burj il Barajne passiert. Vorbei an Häuseruinen und den mickrigen Überresten der PLO-Stellungen im Bürgerkrieg, geradewegs in die Hölle eines Lagers für Menschen, die von der Welt längst wieder in Vergessenheit geraten worden sind. Die Ghettos der Palästinenser, eingebettet zwischen riesigen Wohnsilos und millionenschweren Bürogebäuden inmitten von Beirut.
Das Autoradio, welches uns lautstark mit der Musik von „Supertramp“ verwöhnte, wurde von Ghabij leiser gedreht, denn westliche Musik würde hier nicht allzu gerne gehört. Hier ist man mehr auf traditionelle Musik bedacht. Auf einer Schotterstraße, die sicher einmal aus Asphalt war, manövrierten wir unseren Wagen vorbei an orientalisch anmutenden Souks und an den mit Kalaschnikows bewaffneten Milizen der Fatha, die mit verdrecktem T-shirt und zerrissenen Jeans wohl keine ungewöhnliche Uniform für Lager-Milizionäre, trugen.
Geparkt auf einem Plateau, irgendwo in einer Seitengasse, verließen wir dann unser Auto, dass wir in die Obhut eines alten Mannes gaben, der Allah für diesen sonnigen Tag dankte und uns mit einem freundlichen Lächeln auf seinem vernarbten und faltigem Gesicht den Weg ins Zentrum wies. Keine Zehn Schritte taten wir, da mussten wir schon der Einladung eines Mannes folgen, der uns herzlich Zutritt zu seiner Werkstatt gewährte. „Wir mögen doch Bitte einen Blick auf seine Kunst werfen.“ Und tatsächlich, es war Kunst! Er entwarf, zusammen mit zwei anderen Herrn, mittleren Alters, Kupferbilder, die er auf Platten und Teller presste. Neben vielen nationalen Symbolen und Darstellungen, fand ich auch das Emblem der Hisbollah auf dem einen oder anderen Teller wieder. Wie sich herausstellte, erledigte er mit seinen Gehilfen auch Aufträge für auswärtige Kunden, die ihm ein kleines, aber regelmäßiges Verdienst sicherten.
Unser weiterer Weg führte uns ins Krankenhaus von Burj il Barajne. Auf dem Weg dorthin stellte sich uns ein Mann vor, der so etwas wie ein Museumsdirektor war. Sein Museum war ein liebevoll eingerichteter Keller, der aus zwei Räumen bestand mit wohl nicht mehr als 30 Quadratmetern. Dennoch sehr schön eingerichtet. Teppiche, Kaffeeservice, Malereien und verschiedenste Kunsthandwerke. Was mich persönlich sehr beeindruckt hat war der Stolz, der sich in seinen Augen spiegelte. Unendlich viel Kraft und Ausdauer umgab seine Aura, die er mit Tausenden anderen teilte. Der stolz Palästinenser zu sein war überall im Lager spürbar. Ich habe nicht so einen Stolz Österreicher zu sein. Ich spürte aber diesen Stolz, als ich in den Lagern war und die Leute mich nach kurzer Zeit schon in ihr Herz schlossen und ich mich bald nicht mehr wie ein Gast, sondern wie einer von ihnen fühlte. Allgegenwärtig war diese Kraft zu spüren, die die Tristigkeit des Flüchtlingsghettos fast gänzlich verschwinden ließ.
Er berichtete von inhaftierten Freiheitskämpfern und von der Sehnsucht nach Al-Quds, nach Jerusalem. Einer Sehnsucht, die zum Symbol für ihr Durchhaltevermögen wurde.
Das Eingangstor war gekrönt mit einem kunstvoll gestalteter Rundbogen, wie es bei den alten Stadthäusern des palästinensischen Jerusalems üblich und auch einzigartig war. Das wirft gleich ein ganz anderes Bild auf das, was man sich unter einem Flüchtlingslager vorstellt. Was natürlich nicht heißt, dass alles in Lager so ausschaut. Auch wenn man auf Erhalt der Kultur und auf Pflege der Traditionen großen Wert legt, das Leben der Bewohner ist am Limit des Erträglichen und gemeinhin ist man froh, wenn man überhaupt ein Dach über dem Kopf hat, dass nicht gerade über einem zusammenfällt. Von kunstvoll gestalteten Rundbögen ist da erst gar keine Rede. Tatsächlich ist es keine Seltenheit, dass die alten Gemäuer aus heiterem Himmel beim Abendessen oder beim Fernsehen über einem zusammenbrechen. Von so einem Vorfall hat mir eine Frau im Lager Ain el Helwe erzählt, die mir ihr leer stehendes Heim vorführte und ihre aussichtslose Situation beklagte, wäre doch das alte Haus eine Gefahr für Leib und Leben gewesen. Seitdem lebt sie bei ihrer Schwester und weiß nicht wie es mit ihr und ihrer Familie weiter gehen soll. Nun leben sie zusammen mit vier Kindern und vier Erwachsenen in einem Kabinett mit etwa 12 m² und einer kleinen Kochnische, die vielleicht noch auf zusätzliche 4 m² kommt. Die anderen Erwachsenen sind eine gute Bekannte, deren Mann seit 12 Jahren in israelische Gefangenschaft ist und dem erwachsenen Sohn von ihrer Schwester, der als Wachorgan bei der Fatha Lagermiliz tätig ist. Ihre Schwester hat auch keinen Mann mehr. Er ist ebenfalls seit Jahren in israelischer Gefangenschaft verschollen. Auch Fatima hat keinen Mann mehr. Er ist im Krieg gefallen. Leider keine Einzellschicksale.

Straßenbild im Lager
Kurz nach dem Museumsbesuch führte uns der Direktor im Lager herum. Dabei war es mir möglich auch ein Krankenhaus vom roten Halbmond zu besuchen. Ein bombastisches Bildnis Arafats krönte den Eingang zum Hospital. Drinnen sah es eher aus wie in einem Rohbaugewölbe. Das es ein Krankenhaus sein soll war lediglich daran zu erkennen, dass das Personal weiß trug. Wäre mir das nicht ins Auge gesprungen, hätte ich wohl eher den Eindruck vermittelt bekommen, dass hier eben eine Bombe eingeschlagen hat. Einschusslöcher im ganzen Gebäude, auch innerhalb, und der Eingangsbereich war mit Menschen gesäumt, die Verletzungen aller Art hatten. Viele Krüppel mit Holzkrücken, die in der Regel aus nichts anderem bestanden, als aus einfachem Treibholz, dass man sich wohl von der Küste geholt hat. Die Wunden waren meist mit irgendwelchen gewöhnlichen Haushaltstüchern verbunden worden, wo meist noch ein eingetrockneter rotbräunlicher Blutfleck am Ende des ambotierten Fußes rausquoll. Schwierig war es jedoch in die Krankenräume zu gelangen, da diese zugleich auch als Operationsräume benutzt werden. Jedoch konnte mir der Direktor Einlass zu den Aufenthaltsräumlichkeiten der Ärzte verschaffen. Die Ärzte waren sichtlich fertig und überarbeitet, was sich in ihrer Stimmung wider spiegelte. Man freute sich zwar über meinen Solidaritätsbesuch, aber der Stress ließ ihnen keine Zeit für Plaudereien. Viel erklären brauchte man mir auch nicht. Ich habe Augen im Kopf. Das sollte reichen um sich ein Urteil zu bilden. Ich erinnere mich auch sehr viel Dreck und Abfall der vor und teilweise auch im Hospital war. Auch ein leicht süßlicher Gestank lag in der Luft. Eine Mischung aus verdorrtem Essen, offenen Wunden und Jod. Direkt Ekel erregend. Gerade noch an der Grenze des Erträglichen. Wir haben das Krankenhaus bald wieder verlassen, um dem gestressten und unterbezahlten Personal ungestört ihre Arbeit fortsetzten zu lassen.
Mit strengem und prüfenden Blick musterten mich die Milizen. Auf der Straße, die vom Hospital wegführte, wieder Richtung Parkplatz. Mit ausgewaschenen Jeans und verdrecktem T-shirt, die obligatorische Kalaschnikow, lässig in der rechten Hand, den Finger am Abzug, hängt die Maschinenpistole mit der Mündung in den staubigen Schotterboden, der von Motoröl getränkt und durchweicht war. Ein freundlich zugenickter Gruß wurde mit einem sanften aber warmen Lächeln erwidert, was die Aufmerksamkeit wieder von mir schob. Ein freundlich zugenickter Gruß wurde mir immer wieder zur Bestätigung dafür, dass ich willkommenster Gast war. Ob eine alte verschleierte Frau hinter einem Obst - und Gemüsestand, ein junges Mädchen im Entgegenkommen oder ein bewaffneter Milizionär, ich konnte mich durch meine Präsenz die Herzen der Menschen erobern. „You see Thomas, they like you!“ Ghabij strahlte auch Begeisterung und Stolz aus, weil er die Chance hatte einem Europäer seine Sicht der Palästinenser zu zeigen. Eine Seite der Palästinenser, die in den westlichen Medien nur allzu gerne unter den Tisch gekehrt wird.