Independent Carinthian Art & Cult | ||
Tue Oct 08 2024 22:47:32 CET |
|
2007-11-04 Viel gelernt, doch geholfen hat's wenig! Der ökologische Fußabdruck
Nach drei Jahrzehnten Grenzgängertum zwischen Wissenschaft und Praxis fühle ich mich manchmal wie der Fremde in der Kino-Bierwerbung, der in einem friesischen Dorf drei vor einer Kneipe sitzende, schweigende Einheimische nach dem Weg fragt: Die drei Männer schauen einander an. Keine Antwort. Der Fremde versucht es auf Englisch. Ohne Erfolg. Auf Holländisch. Wieder keine Antwort. Er zieht entmutigt weiter. Einer der drei Männer: „Hochgebildeter Mensch..." Pause. Ein anderer: „Ist wahr. Kann drei Sprachen." Pause. Der dritte: „Aber geholfen hat's ihm nichts." Wie kommt es, dass wir nach drei Jahrzehnten dieselben Diagnosen in nur geringfügig veränderten Worten abgeben? „Globalisierung führt zu einer fragmentierenden / archipelisierten Entwicklung, in deren Rahmen ein zunehmender Anteil der Weltbevölkerung von der Entwicklungsdynamik ausgegrenzt wird und verarmt", lautet der Befund der Globalisierungskritiker/innen heute, und dafür lassen sich vielfältige empirische Belege finden. Ende der 1970er Jahre hieß es in dependenztheoretischen Arbeiten: „Die Akkumulation des Kapitals im Weltmaßstab führt zu struktureller Heterogenität, in deren Rahmen ein zunehmender Anteil der Bevölkerung in den Peripherie-Ländern marginalisiert wird und verarmt". Die frappierende Ähnlichkeit der beiden – konstruierten, aber den linken Mainstream wiedergebenden – Aussagen legt zwei Fragen nahe: Hat sich die reale Welt seither entscheidend verändert, oder wird sie durch die Aussagen der Dependenztheoretiker/innen immer noch zutreffend beschrieben? Die andere Frage: Hat man in drei Jahrzehnten Entwicklungsforschung dazu gelernt, oder wird da heute von einigen Unbelehrbaren alter Wein in neuen Schläuchen verkauft? Als jemand, der – so viel sei vorweg schon verraten – damals die dependenztheoretische Aussage mitvertreten hat und der heute gute Gründe sieht, der globalisierungskritischen Aussage zuzustimmen, möchte ich mich einer Antwort auf die beiden Fragen durch eine etwas differenziertere Betrachtung annähern: Ich möchte differenzieren zwischen
Dabei nehme ich mir in diesem Essay das Recht, die Frage, was richtig und was falsch ist, aus der subjektiven Warte dessen, der über viele Jahre hinweg in afrikanischen und asiatischen Ländern Erfahrungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gemacht und aufgearbeitet hat, zu beantworten, ohne dem Anspruch auf saubere wissenschaftliche Fundierung zu genügen. Bewahrenswertes Die Einschätzung, dass die Dynamik der Weltmärkte angesichts zunehmender Automatisierung nicht zu einer Ausweitung der Massenkaufkraft führt, die eine nachholende Entwicklung auf breiter Basis ermöglichen würde, hat sich durch die Ergebnisse des Globalisierungsschubs der 1990er Jahre bestätigt. „Job-less growth" ist eine verbreitete Diagnose auch in den von Wachstumsdynamik profitierenden Ländern. In der entwicklungspolitischen Praxis bleibt der Zielhorizont weiterhin auf Armutsminderung beschränkt, heute unter dem Motto „sustainable livelihoods" oder verringerte Verwundbarkeit, zumindest bei jenen, die eine breitenwirksame Verbesserung anstreben. Auch an den Einschätzungen zur tendenziell problemverschärfenden Rolle von „Staatsklassen" („Rentier-Staaten", „Kleptokratien", „Pfründenkapitalisten" ...), welche ihre Funktion im Staatsapparat primär als Basis für Selbstprivilegierung sehen und zu ärmeren Bevölkerungsgruppen bestenfalls ein Patronageverhältnis entwickeln, hat sich seit den frühen 1980er Jahren wenig geändert. Die einschlägigen Analysen aus jener Zeit liefern heute gute Begründungen dafür, warum formelle Demokratisierung in Form einer Durchführung freier Wahlen im Mehrparteien-System so wenig zu verbesserter Regierungsführung, Abbau der Korruption und Stärkung der Macht der Armen beiträgt. Auch bei Betrachtung der Mikroebene gelten im Wesentlichen die „alten Wahrheiten", wie sie i.R. in der Analyse der „Verflechtung von Produktionsweisen" Anfang der 1980er Jahre identifiziert wurden: Die Subsistenzbasis und die Basis familiärer Reproduktionssysteme ist zum gesicherten Überleben bis heute so unverzichtbar wie unzureichend geblieben. Trotz zunehmender globaler Arbeitsmigration befinden sich die allermeisten Unterschichthaushalte in den Peripherieländern weiterhin nicht in einem Prozess des Übergangs von der Subsistenz- zur Marktwirtschaft, sondern schlagen sich im dauerhaften Spagat zwischen den beiden Produktionsweisen mehr oder weniger gut durch. All diese Aussagen sind holzschnittartig vereinfachend und werden der Differenziertheit der Forschungsergebnisse und Debatten zu jedem dieser Themen nur unzureichend gerecht. Sie belegen aber m.E., dass sich – trotz Globalisierung und Demokratisierung – an den zentralen realen Problemen wenig geändert hat und dass die Analysen aus der Zeit der Gründung der PERIPHERIE in wesentlichen Aspekten den realen Entwicklungen entsprachen. Irrtümer Einer der folgenschwersten Irrtümer der dependenztheoretischen Phase war eine Tendenz zur deterministischen und damit übersimplifizierenden, allein auf externe Faktoren fokussierende Analyse von Entwicklungsprozessen. Dies führte zu einem Glaubwürdigkeitsproblem auch hinsichtlich der oben skizzierten bewahrenswerten Erkenntnisse. Die allzu schematischen Interpretationen hielten weder der Realität der Differenzierungsprozesse innerhalb der damaligen „Dritten Welt" noch den Erfahrungen mit den internen Missständenstand, denen sich diejenigen, die in diesen Ländern arbeiteten, nicht länger verschließen konnten. Es ließ sich beim besten Willen nicht mehr alles eindimensional auf den Imperialismus zurückführen. Globalisierungskritische Analysen sollten es vermeiden, diesen Fehler heute zu wiederholen. Vielmehr lohnt es, den mühsam erarbeiteten Erkenntnisfortschritt der 1980er Jahre zu bewahren, der Entwicklungsprozesse als Zusammenspiel externer und interner Kräfte begreift. Ein weiterer – wenngleich frühzeitig korrigierter Irrtum – lag in der strategischen Forderung nach Dissoziation, eine in der damaligen, bipolaren Welt noch plausible Strategie, die sich heute, 15 Jahre nach 1990, als völlig weltfremd darstellt. Die Polarisation zwischen Freihandelsdogmatiker/innen und Abschottungsdogmatiker/innen hat wohl dazu beigetragen, dass auch Debatten über Instrumente eines maßvollen und entwicklungsorientierten Protektionismus lange Zeit keine gute Presse hatten. Aber auch die pragmatische Konsequenz aus dem Abschottungsgedanken, die Förderung kleinräumiger Wirtschaftskreisläufe (lange Jahre ein Lieblingsthema des Autors), erwies sich für die Mehrzahl der Standorte als ein Irrweg. Die Erwartung, dass sich in den von Globalisierungsprozessen peripherisierten ländlichen Regionen nach Abbau der Staatswirtschaft Chancen für ein grundbedürfnisorientiertes Kleingewerbe eröffnen würden, hat sich nur selten erfüllt. Der Grund: Entlegene Regionen sind nur von der Teilhabe an Weltmarktproduktion ausgegrenzt, nicht aber vom Angebot an Weltmarktkonsumgütern. Auf Seite der aufgeklärten entwicklungspolitischen Praxis tat man sich schwer, mit den doch so einleuchtenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Charakter des Staates in den Partnerländern umzugehen. Im Widerspruch zwischen dem daraus abgeleiteten Bemühen, Interessenvertretungsmacht ärmerer Gruppen gegenüber dem Staatsapparat aufzubauen („empowerment") und der Notwendigkeit zur politisch korrekten Implementierung von Maßnahmen über diesen Staatsapparat haben sich viele Entwicklungsberater/innen aufgerieben. Manche setzten allein auf Basismobilisierung und Selbsthilfe und unterschätzten dabei die Problemlösungskapazitäten ihrer Adressat/innen und die Macht klientelistischer Abhängigkeiten. Andere wurden von Nicht-Regierungsorganisationen enttäuscht oder von den als Bündnispartner anvisierten reformorientierten Fraktionen der Staatsklassen, die meist auch nicht in der Lage waren, sich der korrumpierenden Logik von Rentenökonomien und klientelistischen Strukturen zu entziehen. Da war es ein schwacher Trost, dass auch die neoliberal inspirierten Versuche von IWF und Weltbank, den „Rentensumpf" durch Entstaatlichungsauflagen auszutrocknen, am hinhaltenden Widerstand der Bürokratien, an deren Ausweichbewegungen in den NRO-Bereich und an den eigenen Widersprüchen (die Weltbank ist bekannt als Vorreiter der Tendenz, Politiker/innen und Beamt/innen durch astronomische Tagegelder zur Teilnahme an den eigenen Veranstaltungen zu „motivieren") scheiterten. Unter die Irrtümer der Dependenzia-Phase ist sicherlich auch einzuordnen, dass wir damals davon ausgingen, als Reaktion auf die Widersprüche von Globalisierungsprozessen würden sich primär soziale Bewegungen formen, während die Realität zeigte, dass – voraufklärerische – ethnisch, religiös oder regionalistisch begründete Bewegungen die Regel waren. Viele dieser Irrtümer wurden bereits im Laufe der 1980er Jahre in einem – meiner Wahrnehmung nach beispielhaften – wissenschaftlichen Lernprozess revidiert. Diese Revisionen und die daraus resultierende Unübersichtlichkeit aber wurden sträflicherweise allzu oft als „Krise" interpretiert. Und dies war wohl einer der selbstverschuldeten Ursachen für die Niederlagen. Niederlagen Die gravierendste Niederlage von Wissenschaft und Politik war zweifellos der Siegeszug der neoliberalen Doktrin. Diese erweist sich als besonders bitter aufgrund der Tatsache, dass die sozialen Folgen einer Freihandelspolitik für arme Regionen schon frühzeitig diagnostiziert wurden (s.o.). Die Tatsache, dass es nach geraumer Zeit gelang, wenigstens im entwicklungspolitischen Bereich einige der neoliberalen Irrtümer zu korrigieren (Wiederentdeckung der Rolle des Staates und die Hinwendung zur Suche nach angemessenen institutionellen Regulierungen) kann nur teilweise darüber hinwegtrösten, dass in einer entscheidenden historischen Phase linke Wissenschaft und linke Praxis sich in einem – allenfalls teilweise begründeten –Krisengerede erging und deshalb dem neoliberalen Mainstream wenig entgegenzusetzen hatte. Worin liegen die Ursachen dieser Niederlage und was lässt sich daraus lernen? Vorweg ist festzustellen, dass die neoliberale Welle weit über unseren Themenbereich der Entwicklungsforschung und -politik hinausreichte und linke Strömungen in allen Ländern relativ hilflos erscheinen ließ. Dennoch lohnt es, die – vielleicht nicht allzu gewichtigen – eigenen Dilemmata zu betrachten. These 1: Wir hatten zuerst in der Dependenzia-Phase allzu simple und deshalb angreifbare und nur begrenzt brauchbare Antworten. Die im Laufe der 1980er Jahre entwickelten, differenzierteren Analysen waren zwar relevant und sind bis heute entwicklungspolitisch brauchbar, aber sie waren in ihrer (angemessenen) Differenziertheit zu komplex für eine Praxis, die immer mehr dem „Sexappeal" der einfachen, modewellenartig mittels einwöchiger Kurse verbreitbarer Rezepte folgte. These 2: Die eindeutigen Antworten kamen abhanden. Wer sowohl die fatalen Folgen des Freihandels analysiert hatte als auch den Missbrauch protektionistischer Instrumente durch Staatsklassen, wer immer öfter mit „ja, aber..." antworten musste und statt klarer Antithesen nur differenzierte Synthesen in einer Zwei-Fronten-Auseinandersetzung zu vertreten hatte, der bzw. die hatte es schwer, zu begeistertem Engagement zu motivieren. Erfolge Erfolge gab es vor allem bei den menschenrechtlichen Themen, insbesondere bei der Gleichberechtigung der Geschlechter zu verzeichnen. Dies waren Themen, wo Recht und Unrecht einigermaßen eindeutig unterscheidbar sind und wo ein breiter, das linke Spektrum überschreitender Konsens herstellbar war. Viele Kolleg/innen haben sich deshalb auch diesem Themenbereich zugewandt. Als Erfolg kann man es auch bezeichnen, dass von der derzeitigen Bundesregierung die Notwendigkeit gesehen wird, Entwicklungszusammenarbeit in den Rahmen einer globalen Strukturpolitik zu stellen, die auf den Prinzipien eines partnerschaftlichen Multilateralismus beruht und am Ziel einer sozial und ökologisch orientierten Steuerung von Globalisierungsprozessen orientiert ist. Dass diesbezüglich aufgrund der derzeitigen US-Politik nicht viel vorangeht, sollte uns nicht blind machen gegenüber gleichzeitigen Fortschritten im Aufbau internationaler Kooperationsbeziehungen und Regelwerke. Letztlich sind da noch die vielen kleinen Erfolge zu nennen, die nichts an den Armut verursachenden Strukturen ändern, die aber zeigen, dass es auch anders geht, bzw. anders ginge, wenn... So freue ich mich stets erneut, wenn ich meine Haare mit einem Shampoo wasche, das aus dem Honig von marginalisierten Bienenhalter/innen in einer entlegenen Region Sambias produziert wird, zu deren Organisierung wir vor zwei Jahrzehnten nach dem Motto „Marktmacht stärken!" beigetragen haben. Unter Berücksichtigung dependenz-, staats- und verflechtungstheoretischer Erkenntnisse! Folgerungen Ich will hier nicht weiter auf entwicklungsstrategische Folgerungen eingehen (vgl. hierzu andere meiner Publikationen: RAUCH 2003 und 2004). Dabei geht es auf globaler Ebene um die Arbeit an einem „Post-Washington Consensus" zur sozial verträglichen Regulierung von Globalisierungsprozessen (in deren Rahmen Instrumente der selektiven und temporären Abschottung von Binnenmärkten weiterhin wichtig bleiben). Dabei geht es aber auch darum, dass verbesserte ökonomische und politische Rahmenbedingungen nur dann zu einer Verbesserung für benachteiligte Bevölkerungsgruppen führen werden, wenn diese durch Organisierung dazu befähigt werden, demokratische und marktwirtschaftliche Handlungsspielräume besser zu nutzen bzw. daraus resultierende Bedrohungen besser zu bewältigen. Hier aber geht es mir um die Frage, wie linke Wissenschaft und Praxis mit der o.g. „Komplexitätsfalle" besser umgehen kann. Wie kann man der fatalen Gesetzmäßigkeit entkommen, die da lautet: „Alles, was einfach ist, funktioniert nicht. Alles, was komplex ist, wird nicht getan."? Hier ist die Wissenschaft und die wissenschaftlich begründete Lehre gefordert: Spaß an Komplexitätsbewältigung, Spaß am dialektischen Denken gilt es zu vermitteln. Strategische Balanceakte müssen als normale Herausforderungen politisch-beruflichen Handelns ins Zentrum der Diskussion gestellt werden. Und wir sollten uns immer wieder vergegenwärtigen, dass wir uns – nach Camus –Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen müssen. Literatur Rauch, Theo (2003): „Bessere Rahmenbedingungen allein beseitigen Armut nicht! Eine theoriegeleitete Vier Ebenen-Strategie für entwicklungspolitische Interventionen. In: Geographica Helvetica, 1/2003, S. 35 – 46. Rauch, Theo (2004): „Teil der Lösung oder Teil des Problems? Das afrikanische Dilemma und vier Jahrzehnte Entwicklungszusammenarbeit. In: Lühr, V.; Kohls, A.; Kumitz, D. (Hg.): Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Afrika. Festschrift für Manfred Schulz. Münster, S. 175 – 206.
Keine Reaktionen vorhanden |
|