2004-03-25
Amo Trieste - IV
Im ersten Moment kaum wahrnehmbar, mischte sich in die Töne ein Lächeln, welches ihm so gut bekannt war. Als er die Augen schloß, diesmal gelang es ohne die Mithilfe der Finger, zeichnete sich abermals das bereits wohlvertraute Gesicht vor sein drittes Auge. Vergeblich suchte er Geborgenheit im Blick. Nein, das Gesicht schien ihm et¬was mitgeben zu wollen, etwas sagen zu wollen, dessen Sinn und Aussage er nicht verstehen konnte. Immer wieder umspielte er das Gesicht, doch obgleich das stille glücktraurige Lächeln zu hören war, das Gesicht blieb verschlossen. Es wollte ihn zu etwas drängen, ihn sichtlich um etwas ersuchen dessen Bedeutung von immenser Wichtigkeit schien. Das Gesicht suchte sich ihm zu entziehen. So oft er den Kontakt suchte, das Gesicht wich zur Seite und bedeutete ihm den Blick zu schärfen für Dinge die ihm zugefallen waren sie zu lösen. Zögernd ließ er das Gesicht gehen und richtete den Blick wieder auf den Stein, der unter seinem Körper gleichermaßen Belastung und Schutz gefunden hatte. Plötzlich spürte er wie der Stein wuchs. Nicht viel, nur wenige Millimeter nahm er in der Höhe zu und streckte sich ebensoweit meerwärts. Die Zeit gab dem Stein zurück was sie ihm im Lauf der Jahre genommen hatte. Die wenigen Millimeter seines Wachstums entsprachen einer Zeitspanne die an ihm vorübergeflossen war. Eine Zeitspanne die es nicht erlaubte einfach Vergangenheit zu sein. Ohne sonderlich zu erschrecken nahm er plötzlich Hände wahr die sich aus dem Meer zum Rand des Steines strecken. Den Händen folgte der Körper eines jungen Mannes, der obgleich aus dem Meer gestiegen, völlig trocken war. Der Versuch dem Mann zu helfen scheiterte kläglich, da er ihn nicht fassen konnte. Seine ausgestreckte Hand griff ins Leere. Der Mann, gekleidet wie um die Jahrhundertwende nahm von dem einsam Dasitzenden keine Notiz beanspruchte jedoch mit Nachdruck den Platz auf dem Stein. Mühelos setzte er sich nieder und wäre nahezu in dem staunenden Menschen versunken, hätte dieser sich nicht rechtzeitig ein wenig nach links gesetzt. Der dem Meer Entstiegene bedeutete freundlich doch Platz zu behalten und rückte näher heran. In einem Anflug unnotwendiger Höflichkeit versuchte der Spaziergänger noch weiter zu Seite zu rücken, was der andere aber fast flehentlich zu unterbinden trachtete.
Der Spaziergänger suchte ein Gespräch aufzunehmen, allein der Fremde reagierte nicht. Die letzten Spaziergänger registrierten den einsam Dasitzenden belustigt, zumal er in eifrige Selbstgespräche vertieft schien. Eine schüchterne Berührung an seiner rechten Körperseite zog den Blick zu einer Frau, die ebenfalls neben ihm Platz ge¬nommen hatte. Sein fragender Blick sah nun ein Gesicht, welches aller Sorgen frei und gelöst war. Ein Gesicht welches ihn ermunterte doch den Gesellen aus dem Meer ge¬währen zu lassen. Ihm die Möglichkeit zu geben mit ihm zu verschmelzen. Immer wieder bedeutete ihm das hübsche Gesicht ruhig zu bleiben, die Dinge geschehen zu lassen. Erst als er sich vollkommen entspannt hatte, den stillen Hinweis aufgenommen hatte, ließ er den Mann gewähren. Ein weiteres zur Seite rücken wäre ohnehin nicht möglich gewesen, denn dort lächelte ein Gesicht jenes faszinierende traurigfröhliche Lächeln. Näher und näher rückte der junge Mann, nicht ohne zu bedeuten doch sitzen¬zubleiben. Mit unglaublicher Macht umfing den Spaziergänger tiefe Geborgenheit als sich der Körper dem seinen näherte. Tiefer und tiefer verschmolzen sie ineinander bis auf der Mole nur mehr ein Gewand liegenblieb, welches an die Jahrhundertwende er¬innerte. Als er seinen Blick zur Frau wandte lachte sie ihn fröhlich an, nickte um schließlich ganz ruhig aus seinem Gesichtsfeld zu fließen.
Er war sich nicht bewußt wie lange er so dagesessen hatte. Doch als er die Augen öffnete war das letzte Licht ins Meer geflossen, die Sonne wärmte seinen Rücken. Alle Müdigkeit war verflogen und als er den Blick zurücktat, in den Karst, lag er friedlich vor ihm als würden die großen Schlachten erst geschlagen werden, als würde eine gnädige Zeit noch einen Teil seines Lebens vor den Schrecken einer zur Zukunft ge¬wordenen Vergangenheit bewahren. Er genoß es den Frieden im Karst wahrzunehmen, obgleich sich in der Stadt nichts geändert hatte. Nur in ihm war Frieden eingekehrt und damit die Erkenntnis Zeit nur so zu sehen wie sie in ihrer Zeitlosigkeit nur über das dritte Auge erkennbar wird. Der Stein hatte wahrscheinlich seine ursprüngliche Form wieder angenommen, zumindest fiel dem Spaziergänger kein Unterschied zu den ande¬ren Steinen auf. So er sich aufrichtete um zu einer Bar auf einen Kaffee zu gehen, merke er wie der Stein wackelte. "Wer hier nicht aufpaßt" so spürte er an der Bewegung "könnte leicht ins Wasser fallen."