2003-05-22
Ein Sonntag im Mai
Die Schwägerin sollte schon längst wieder einmal eingeladen werden. Man muß sich schon eine
Zeit vorher anmelden, denn so kurzfristig kann niemand einer Einladung folgen.
Glück gehabt, der Termin war frei. Ein Essen um zwölf Uhr dreißig, anschließend Kaffee mit
selbst gebackenem Kuchen und danach ein Spaziergang zum Sternberg wurden geplant. Was kann
es Schlimmeres geben, als an einem Tag, an dem man sich vorgenommen hatte, eine "perfekte"
Hausfrau zu sein, zu verschlafen und erst um zehn Uhr erschrocken aus dem Bett zu springen?
Das Mittagessen mit Vor- und Hauptspeise ist kein Problem, aber der Kuchen. Wenn die Übung
zum Backen fehlt, einen aber trotzdem der Ehrgeiz packt, einen gedeckten Schwarzbeerkuchen
zu produzieren, wird das in der selbst verursachten Hektik problematisch. Der Mürbteig war
rasch geknetet und im Kühlschrank kaltgestellt, die Schwarzbeeren bereits aufgetaut. Jetzt
war nur noch das Eiklar von sieben Eiern zu schlagen, geriebene Mandeln unter zu heben und
das Ganze mit den Beeren zu vermischen. Es wird die uralte elektrische Kaffeemühle gesucht
und gefunden, die Mandeln eingefüllt und dann ist es unbedingt notwenig, beim Einstecken
des Steckers gleichzeitig den Deckel festzuhalten. Aber in der Eile kann man wirklich
nicht an alles denken. Der Motor heult auf, der Deckel und die zum Teil zerkleinerten
Mandeln sausen einem um die Ohren und bis in die hintersten Winkel der Küche. Es waren
keine anderen Mandeln da, also mussten die verstreuten Mandelstücke eingesammelt, gewaschen
und den Deckel festhaltend, gemahlen werden. Eine klumpige Masse war das Ergebnis.
Die sieben Eier mussten getrennt, das Eiklar laut Kochbuch mit ein wenig Salz und sechzehn
Deka Staubzucker vermengt und dann mit dem Handmixer gerührt werden. Das Eiklar blieb
flüssig. Auch nach einer viertel Stunde des Rührens auf allen Mixergeschwindigkeiten blieb
es flüssig. Vielleicht wird es mit klumpigen Mandelmasse etwas fester? Die Mandeln sanken
auf den Topfboden und kein weiteres Rühren änderte die Konsistenz. Also wurden sieben
weitere Eier aufgeschlagen und nach wenigen Minuten Rühren war das Eiklar schön weiß und
steif. Der feine Geschmack der Mandeln durfte nicht fehlen. Vorsichtig wurde ein Eßlöffel
von der missglückten Mixtur untergerührt, was zur Folge hatte, daß sich die Sache wieder
aufzulösen begann. Wenn man jetzt ganz schnell, es war bereits elf Uhr fünfzehn, die zum
Abtropfen auf den Rand des Spülbeckens gestellten Schwarzbeeren dazugibt... in diesem
Augenblick sprang der bereits bekannte Schweinskater genau auf den Griff des Siebes und
die Beeren spritzten auf die Bluse, landeten auf dem Boden, doch das Meiste wurde
gottseidank in das Spülbecken geschleudert, von wo man sie, rasch mit einem Löffel
zusammenkratzt, mit dem sich auflösenden Eiklar vermengt und auf den bereits ausgewalgten
Teig kippt, etwas einebnet und die Form ins vorgeheizte Rohr schiebt.
Um zwölf Uhr fünfzehn war der Tisch gedeckt, die Suppe, die Petersilkartoffeln, der Salat
und der Fisch zubereitet, der Kuchen aus dem Rohr geholt. Er war wunderschön,
auberginfarben, von beigen Wellen durchzogen und das Erstaunlichste war, er schmeckte
ausgezeichnet. Es blieb kein Krümmelchen übrig.