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Martin Schenk

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2010-05-14

Armländer sind Rausländer

Ausschließung macht arm, Armut macht fremd, Fremdheit macht Angst. 4 Thesen bei der Debatte r Migration: Kampf um's Überleben

.

Prozess
r Migration: Kampf um's Überleben

1. ARMUT: Ausschließung macht arm

Armut ist relativ. Sie setzt sich stets ins Verhältnis, egal wo. Sie manifestiert sich in reichen Ländern anders als in Kalkutta. Menschen, die in Österreich von 300,-- oder 500,-- EURO im Monat leben müssen, hilft es wenig, dass sie mit diesem Geld in Kalkutta gut auskommen könnten. Die Miete ist hier zu zahlen, die Heizkosten hier zu begleichen und die Kinder gehen hier zur Schule.

Armut ist das Leben, mit dem die wenigsten tauschen wollen. Arme haben die schlechtesten Jobs, die geringsten Einkommen, die kleinsten und feuchtesten Wohnungen, sie haben die krankmachendsten Tätigkeiten, wohnen in den schlechtesten Vierteln, gehen in die am geringst ausgestatteten Schulen, müssen fast überall länger warten – außer beim Tod, der ereilt sie um durchschnittlich sieben Jahre früher als Angehöriger der höchsten Einkommensschicht.

Die Statistik Austria (2010) spricht von „manifester Armut“, wenn neben einem geringen Einkommen schwierigste Lebensbedingungen auftreten: Die Betroffenen können sich abgetragene Kleidung nicht ersetzen, die Wohnung nicht angemessen warm halten, keine unerwarteten Ausgaben tätigen, sie weisen einen schlechten Gesundheitszustand auf, sind chronisch krank, leben in feuchten, schimmligen Wohnungen. Armut heißt eben nicht nur ein zu geringes Einkommen zu haben, sondern bedeutet einen Mangel an Möglichkeiten, um an den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestausmaß teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, Bildung.

Mangel an Möglichkeiten – Verwirklichungschancen Armut ist eine der existenziellsten Formen von Freiheitsverlust. Armut ist nicht nur ein Mangel an Gütern. Es geht immer auch um die Fähigkeit, diese Güter in Freiheiten umzuwandeln. Güter sind begehrt, um der Freiheiten willen, die sie einem verschaffen. Zwar benötigt man dazu Güter, aber es ist nicht allein der Umfang der Güter, der bestimmt, ob diese Freiheit vorhanden ist. Die Freiheit zum Beispiel über Raum zu verfügen: aus einer runtergekommen Wohnung wegziehen können oder eben nicht. Oder sich frei ohne Scham in der Öffentlichkeit zu zeigen oder nicht. In Armut kann man sein Gesicht vor anderen verlieren. Oder die Verfügbarkeit über Zeit: Frauen mit Kindern in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen wie Leiharbeit, die nicht entscheiden können, wann und wielange sie arbeiten und wann eben nicht. Oder die Freiheit sich zu erholen. Die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und Infarktrisiko tritt bei Armen dreimal so häufig auf wie bei den Manager/innen selbst. Nicht weil die Manager/innen weniger Stress haben, sondern weil sei die Freiheit haben, den Stress zu unterbrechen: mit einem Flug nach Paris oder einem guten Abendessen.

  • „Manifest arm“
    Österreichische Staatsbürger von Geburt an : 4%
    Eingebürgerte: 11%
    Nicht Ö-Staatsbürgerschaft: 15%
    .
  • Kinder und Jugendliche: „einkommensarm“
    Österr. Staatsbürger 12% (180 000)
    Nicht Österr. Staatsbürgerschaft: 38% (84 000)
    .
  • Zeit „zeitweilig in Armut“
    Österr. Staatsbürgerschaft: : 21%
    Eingebürgerte: 39%
    Drittstaatsangehörige: 42%
    .
  • Hilfsarbeiten
    Österreichische Staatsbürgerschaft 19%
    Nicht-Österr: 67%
    .
  • Wohnen
    Überbelag: Gesamtbevölkerung 9%, mit Migrationshintergrund 39%
    Unzumutbarer Wohnungsaufwand: Gesamtbevölkerung 17%, mit Migrationshintergrund 30%
    .

2. SOZIALE DISTANZ: Armut macht fremd

„Ausländerfeindlichkeit“ hat nur indirekt mit „Ausländer/innen“ zu tun. Ob Ottakring oder das „ausländerfreie“ Kaisermühlen in Wien, die Ablehnung ist gleich hoch. Im ehemaligen Ostdeutschland ist Ausländerfeindlichkeit um ein Wesentliches höher als in Westdeutschland. Nur gibt’s im Osten kaum „Ausländer“. Ablehnung und „Ausländerfeindlichkeit“ sind Machtspiele um die Rangordnung in der Gesellschaft. Zum Ausländer wird, wer auf sozialer Distanz gehalten werden soll.

Fremdheit ist ja nicht eine Eigenart des anderen. Sie entsteht vielmehr dadurch, dass das Andere als Fremdes wahrgenommen und anerkannt wird. Wer als „Ausländer“ definiert wird, ändert sich ständig. Vor 100 Jahren waren die Migrant/innen aus Böhmen und Mähren „die Ausländer“. Besonders beklagte man sich über ihre mangelnde Anpassung, ihre Rückständigkeit, die „dreckigen“ Wohnverhältnisse und ihre Herkunft aus der Landwirtschaft („Bauerntölpel“).

Die Regeln, die „Ausländer“ unterscheidbar machen, sind:
(a) Man erkennt sie am Gesicht.
(b) Ausländer sind Personen aus den ärmeren und armen Regionen der Erde.
(c) Je geringer das Bruttoinlandsprodukt des Herkunftslandes, desto größer die Ablehnung.
(d) Je länger der soziale Unterschied im Zielland bestehen bleibt, desto größer die Ablehnung.

Die Ablehnung steigt nicht mit der Zahl der „Ausländer“, sondern mit der Zahl der einkommensschwachen Ausländer-Haushalte. Das Merkmal zur Unterscheidung der Menschen in gute und schlechte ist: das Geld. Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, der wird zum Fremden. Wer auf Dauer „unten“ bleibt, ist fremder als jemand aus der derselben Herkunftskultur mit gehobenerem Lebensstil. So verstärkt sich Be-Fremdung: Der Sozialwissenschaftler August Gächter hat das in die Formel „Aussschließung macht arm, Armut macht fremd, Fremdheit macht Angst“ gebracht.

Das ist das Grundthema von Ängsten, Ablehnung, Feindlichkeit in den europäischen Wohlfahrtsstaaten: Es geht um die Aufrechterhaltung des sozialen Abstands zu den Dazugekommenen. In schwierigen und weniger schwierigen Zeiten ist das für alle erfahrbar durch die Sorge um den eigenen sozialen Status. Nicht das laufende Einkommen ist wichtig für den sozialen Status, sondern der Besitz an dauerhaften, somit herzeigbaren Konsumgütern. Dazu gehört besonders das, was man mit sich herumträgt: Kleidung, Uhr, Schmuck, Tasche, Handy. Und das, was man sieht: Fahrzeug, Lage der Wohnung, Möbel, Ausstattung der Küche etc. Dauerhafte Armut anderer wird im selben Maße wie sozialer Aufstieg von der jeweils bessergestellten Gruppe als Bedrohung interpretiert. So werden auch die Aufstiegsbemühungen von MigrantInnen misstrauisch beobachtet und als illegitim betrachtet: „Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.“

In den 1960ern und 1970ern kam die dritte Generation aus der Einwanderung von vor 1914 in der Mittelschicht an. Geboren so um 1930. Manche wurden gar Bundeskanzler. Heute steht der Aufstieg der Kinder und Enkel der Einwanderung der 1960er und 1970er auf der Tagesordnung. Integration ist auch eine Frage sozialer Rangordnung. Zum Ausländer wird, wer auf Distanz gehalten werden soll. Je weniger sozialer Aufstieg, desto befremdender. Für alle.

Was Integration heißt, ist ein Machtspiel, ein Positionsspiel. Ein guter Indikator dafür, auf welcher Position in der Gesellschaft ich mich befinde, ist die Arbeitssuche. Welcher Personengruppe wird bei Bewerbungsschreiben bzw –gesprächen der Vorrang vor einer anderen gegeben: Männer, bestimmtes Alter, Aussehen, Auftreten, Akzent. Die großen und die kleinen „feinen Unterschiede“ (Bourdieu) werden da deutlich.

In den letzten Jahrzehnten gab es auf diesen Positionen stets eine „Verdrängung nach oben“ (Gächter 2007). Sozialer Aufstieg fand in die breiter werdenden Mittelschichten statt, es gab wenig Abstiege. Die Lücke „unten“ wurde durch neue Einwanderung gefüllt. Die Bildungsexplosion bei Frauen in den 70er Jahren ist auch dadurch möglich gewesen, dass „Ersatz“ am Arbeitsmarkt aus der Migration zur Verfügung stand.

In den Jahren 1998 bis 2004 wird der berufliche Aufstieg von MigrantInnen „jugoslawischer“ und „türkischer“ Herkunft aus dem Arbeiter- ins Angestelltenmilieu in Tabelle 1 sichtbar. Die frei werdenden Arbeiterjobs werden durch Zuwanderung aus Deutschland aufgefüllt. Integration ohne Neuzuzug kann es also nicht geben - außer um den Preis der Diskriminierung und Dequalifizierung derer im untersten Arbeitsmarktsegment. Ohne Zuwanderung müssen sie „unten“ gehalten und ihr Aufstieg behindert werden. Wenn es keinen geförderten und gewollten sozialen Aufstieg von Zugewanderten gibt, muss man Qualifizierte durch Diskriminierung dazu bewegen, dass sie die schlechter qualifizierten Tätigkeiten ausführen. Diese Tendenz in Österreich ist in Tabelle 2 ablesbar.

In den letzten Jahren verzeichnete Österreich eine höher qualifizierte Zuwanderung durch Flüchtlinge, die kaum wahrgenommen wird. Jedenfalls zeigt sich, dass Drittstaatsangehörige ihrer Ausbildung entsprechend um 30% mehr verdienen müssten, Eingebürgerte um 20 %. Nach der erfolgten Dequalifizierung findet kein beruflicher Aufstieg mehr statt. Die Dequalifizierung nach der ersten Beschäftigung wird im Lebenslauf nicht mehr überwunden (vgl Gächter 2007).

3. Kulturalistischer KURZSCHLUSS

Menschen ohne Bekenntnis haben höhere Bildungsabschlüsse als Katholiken in Österreich. Kulturalistischer Kurzschluss: Um ökonomisch fit für die Zukunft zu sein, müssten wir die Katholiken zurückdrängen, um die Bildungsquote zu erhöhen. Die letzen Terroranschläge in Österreich wurden von einem Katholiken aus der Südsteiermark, Herrn Franz Fuchs, verübt und mit der Verteidigung des christlichen Abendlandes in den Bekennerbriefen begründet. Kulturalistischer Kurzschluss: Achtung vor der Gefahr christlichen Terrors in Österreich. Patriarch ermordet Frau. Der Macho hat einen türkischen Namen. Kulturalistischer Kurzschluss: Das ist kein Mord, sondern ein Kulturdelikt. Macho hält Frau im Keller gefangen. Sein Name ist Fritzl oder Prikopil. Kulturalistischer Kurzschluss bleibt aus: ein verrückter Einzeltäter. Wir nehmen uns die Kultur wie wir sie brauchen.

In einem lesenswerten Artikel im Magazin The New Republic bezeichnet der Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschafter Amartya Sen diesen Zwang zur Eintopf-Identität als „pluralen Monokulturalismus“. Das meint, dass ganze Bevölkerungsgruppen von einer einzigen Kultur und einer einzigen Identität ausgehen, derer sich alle einzufügen haben. Sie kann durch Blut, Herkunft oder Religion bestimmt sein.

Menschen erwerben Rechte durch ihr Menschsein, nicht durch die Zugehörigkeit zu einer Religion, Kultur oder Herkunft. Wird das umgedreht, schnappt die Kulturalismus-Falle zu. Sie definiert Zugehörigkeit völkisch. Einmal Ausländer immer Ausländer. Als was du geboren wurdest, das bist du. Sie fasst deshalb auch den Integrationsbegriff kulturalistisch. Der Zugang zu Wohnungen, die nicht feuchten Substandard darstellen, wird so als kulturelles Recht definiert – und nicht als soziales Grundrecht. Dasselbe bei Familienzusammenführung, Sozialhilfe, sozialen Aufstiegschancen, Mitbestimmung. So werden „Armländer“ immer zu „Rausländern“. Mit der Kulturalisierung des Integrationsbegriffs wird Österreich noch stärker als bisher als Abstammungsgemeinschaft statt als Republik definiert. Es ist interessant zu sehen, dass der Integrationsbegriff nur bei Migranten kulturell codiert wird, während er in anderen Kontexten auf den Kern gleichberechtigter Teilhabe beschränkt bleibt. Der Sozialwissenschaftler Bernhard Perchinig weist darauf hin, dass Integration immer auf „die Teilhabe von vom Bildungszugang ausgeschlossenen Schichten oder auf die Verbesserung des Zugangs von Frauen zum Arbeitsmarkt" konzentriert war, und auch in der Diskussion um die EUIntegration Österreichs ging es nicht um die „Anpassung Österreichs" an „europäische Werte", im Gegenteil, von überall war zu hören, dass die Besonderheiten des Landes geschätzt und gewürdigt werden.

Integration ist wörtlich übersetzt die Einbeziehung einzelner Teile in ein übergeordnetes Ganzes. In der wissenschaftlichen Debatte kommen mittlerweile Zweifel an der herrschenden Verwendung des Integrationsbegriffs auf. Denn die Vorstellung einer umfassenden Integration von Menschen in ein Gesellschaftssystem ist eine vormoderne Idee. Hier wurde die Zugehörigkeit von Personen zu einer bestimmten Gesellschaftsform – zu einer Familie, einem Dorf, zum Adel, Klerus oder Bauernstand bereits durch die Geburt festgelegt und bestimmte die Lebenschancen der Menschen nachhaltig: Einkommen und Vermögen, Bildung, soziale Kontakte und Heiratsmöglichkeiten. Von gleichen Rechten, gleichen und gerechten Chancen ist da nicht die Rede.

Mit den modernen Demokratien veränderte sich der Anspruch an den Integrationsmodus grundlegend. Eindeutig geregelte soziale Zuordnungen wie Adel, Arbeiter oder Bauernstand sollen nicht die Zukunftschancen der Bürger und Bürgerinnen bestimmen, sondern individualisierte Teilhabemuster werden bedeutend. Die moderne Gesellschaft ist vielmehr darauf angewiesen, dass Personen nicht integriert, sondern teil- und zeitweise in die verschiedenen Gesellschaftssysteme einbezogen werden: Als Erwerbstätige und Konsumenten ins Wirtschaftssystem, als Lernende ins Bildungssystem, als Kranke ins Gesundheitssystem, als Wähler ins Politiksystem, als öffentliche Person ins Mediensystem, als Bürger ins Rechtssystem, usw. (Abb. 3). Um die Moralisierung und Kulturalisierung des Integrationsbegriffs zu vermeiden, spricht die Systemtheorie hier von Inklusion.

„Drinnen sein“ heißt „teilhaben“ an den Leistungen und Chancen der einzelnen Funktionssysteme unserer Gesellschaft. Teilhabe betont stärker die Mitbestimmung und die Handlungsressourcen, die Benachteiligten ein gutes Leben ermöglichen. Teilhabe bringt den Menschen als Akteur in den Blick. Neben „guter Inclusion“ und Teilhabe geht es aber immer auch um Aneignung.

Der religiöse Kulturalismus funktioniert so wie der völkische: Als was du geboren wurdest, das glaubst du. Menschen müssen aber die Freiheit haben, sich gegen (religiöse) Herkunft oder traditionsbedingte Vorgabe entscheiden zu können. Das ist Grundlage für die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft. Glaubende, ob sie zu Gott, Jahwe oder Allah beten, sind immer auch Frauen und Männer, Arme und Reiche, Privilegierte und Benachteiligte, Mächtige und Ohnmächtige. Das ist wichtig, weil es zeigt, dass wir als Menschen mehrere Identitäten mit unserer je eigenen Geschichte, unseres Geschlechts, unserer Schichtzugehörigkeit, unseres Berufes aufweisen. Und Menschen entscheiden können, dass ihre ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit weniger wichtig ist als ihre politische Überzeugung, oder ihre beruflichen Zusammenhänge, oder ihre Rolle als Frau, oder ihre gewählten Freundschaften.

Die Kulturalisierung des Integrationsbegriffs dient dazu, nicht über Menschen- und Bürgerrechte reden zu müssen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass über Kulturen gesprochen wird, weil nicht über Menschenrechte gesprochen werden soll. Zwangsverheiratung ist dann nämlich Thema genauso wie die Menschenrechtssituation in der Schubhaft, sog. Ehrenmorde genauso wie Männergewalt in der Familie, mangelnde Bildungschancen genauso wie die fremdenpolizeiliche Trennung von binationalen Ehepaaren.

Der allerorts veranstaltete „Dialog der Kulturen" ersetzt nicht die Diskussion über Menschenrechte, Frauenrechte, soziale Teilhabe und soziale Aufstiegschancen unabhängig von Herkunft. Und der Vertreter der islamischen Gemeinde spricht nicht für alle MigrantInnen im Land, er ersetzt nicht die Stimmen aller anderen Zuwanderervereine, Migrantenverbände, Menschenrechtsgruppen, Minderheiteninitiativen; auch wenn er als solcher von offizieller Stelle – dem pluralen Monokulturalismus folgend – ständig angesprochen wird.

Der „plurale Monokulturalismus“ ist mittlerweile politischer Mainstream in Österreich. Genauso wie Kampfprogramm religiöser Fundamentalisten. Denn beide sind miteinander verfreundete Feinde.

4. Von Schlüsseln und Schlössern

Für die Reduzierung der Armut braucht es einen ganzheitlichen Approach, einen integrierten Ansatz, die Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken. Mit einseitig geht gar nichts. Mit einem Faktor allein tut sich kaum was. Erst das Zusammenspiel mehrerer richtig gesetzter Interventionen zeigt Wirkung.

So vermeiden zum Beispiel die höchsten Familiengelder allein Armut nicht, sonst müsste Österreich die geringste Kinder- und Jugendarmut haben; die hat aber Dänemark; mit einer besseren sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems, einem bunteren Netz von Kinderbetreuung wie auch vorschulischer Förderung und höheren Erwerbsmöglichkeiten von Frauen. „Arbeit schaffen“ allein vermeidet Armut offensichtlich nicht, sonst dürfte es keine Working Poor in Österreich geben. Eine Familie muss von ihrer Arbeit auch leben können. Und Anti-Raucher-Kampagnen allein vermeiden das hohe Erkrankungsrisiko Ärmerer offensichtlich nicht, sonst würden arme Raucher nicht früher sterben als reiche Raucher.

Deutschlernen allein reduziert Armut und Ausgrenzung allein offensichtlich auch nicht, sonst müssten die Jugendlichen in den Pariser Vorstädten bestens integriert sein, sprechen sie doch tadellos französisch, es fehlt aber an Jobs, Aufstiegsmöglichkeiten, Wohnraum, guten Schulen. Ein Schlüssel braucht immer auch ein Schloss. Die einen investieren nur in Schlüssel, die anderen nur in Schlösser, und dann wundern sich alle, dass die Türen nicht aufgehen.

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Literatur

Bourdieu, Pierre (1982) Die feinen Unterschiede.

Dimmel, Nikolaus / Heitzmann, Karin / Schenk, Martin (2009): Handbuch Armut in Österreich.

Gächter, August (2007): Richtig über soziale Mobilität reden. Arbeitspapiere Migration und soziale Mobilität Nr.4

Statistik Austria (2010): EU-SILC 2008.

Sen, Amartya (2009): Die Identitätsfalle.

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