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Erwin Köstler

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2007-09-13

Die verlorene Geschichte

Rezension des Romans von Brane Mozetic

In den letzten Jahren hat die slowenische Literatur in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zweifellos an Boden gewonnen. Waren es in den achtziger und Anfang der neunziger Jahre noch immer nur einzelne Namen wie Tomaž Šalamun, Florjan Lipuš oder Drago Jančar, die als weithin sichtbare Orientierungspunkte einer überregional ansonsten kaum noch bereisten literarischen Landschaft fungierten, so schuf der seit damals spürbare Aufschwung in der Übersetzungstätigkeit doch eine breitere Basis für die Vermittlung der slowenischen Literatur. Einige Namen haben sich mittlerweile fest im Bewußtsein etabliert, neben den Genannten vor allem der Lyriker Dane Zajc (Hinter den Übergängen, Klett-Cotta) und der Prosaist Lojze Kovačič, dessen Romantrilogie Die Zugereisten (Drava) die Listen der „besten Bücher“ erkletterte. Auch die bereits aus den sechziger Jahren stammenden Romane des Triestiners Boris Pahor werden seit den Neunzigern für den deutschsprachigen Raum entdeckt (Klett Cotta, Berlin Verlag). AutorInnen wie Brina Svit (Zsolnay) oder Andrej Blatnik (Folio) wurde viel Beachtung zuteil. Generell zeigt die Tendenz, mehrere Bücher eines Autors zu übersetzen, die gestiegenen Möglichkeiten zu einer nachhaltigen Vermittlung auf – von der internationalen Präsenz in den Literaturzeitschriften und in Anthologien gar nicht zu reden. Kajetan Kovič macht seit vierzig Jahren immer wieder einmal von sich hören, von den jüngeren haben es großartige AutorInnen wie Suzana Tratnik (Milena) oder Franjo Frančič (Drava) in den letzten Jahren auf mehr als ein Buch in deutscher Übersetzung gebracht. Dazu kommt ein gestiegenes Interesse an slowenischen „Klassikern“. Vladimir Bartols Roman Alamut (Lübbe) aus den dreißiger Jahren erreichte Ende der Achtziger in Frankreich und Anfang der Neunziger auch im deutschsprachigen Raum Bestsellerstatus. Die erfolgreiche, seit 1994 erscheinende kommentierte Werkausgabe Ivan Cankar (Drava) hat es bereits auf zwölf Bände gebracht. Dazu wurde in den letzten Jahren mehrfach das Werk des slowenischen Avantgardisten Srečko Kosovel reaktualisiert (Edition Carinthia, Drava, Thanhäuser), und mit dem gesamten Prosawerk Slavko Grums (Thanhäuser) wurden überhaupt erstmals Texte dieses bedeutenden slowenischen Postavantgardisten in deutscher Sprache zugänglich. Die Basis für die Rezeption der slowenischen Literatur ist eindeutig breiter geworden.

Neuerdings positioniert sich eine Gruppe jüngerer Autoren aus dem Umfeld der Študentska založba in Ljubljana bei gemeinsamen Auftritten als Avantgarde der slowenischen Gegenwartsliteratur. Neu ist, daß sie sich durch geschicktes Lobbying selbst als Markenzeichen der slowenischen Gegenwartskunst lanciert und bereits wesentliche Teile der literarischen Öffentlichkeit Sloweniens beherrscht. Als ihr Frontman fungiert der (ebf. mehrfach ins Deutsche übersetzte) Lyriker Aleš Šteger, Jahrgang 1973. Sein Buch der Dinge erschien 2007 bei Suhrkamp und wurde im Vorfeld der Leipziger Buchmesse geradezu zum Fanal einer neuen Zeit hochstilisiert, denn endlich sei der Durchbruch auf den herrlichen deutschen Buchmarkt – der laut Šteger durch das selektive Wirken der österreichischen (sprich: die Kärntner slowenischen) Verlage so lange nicht möglich gewesen sei – gelungen (vgl. ein sinngemäß wiedergegebenes Interview in Delo v. 26. 1. 2007, S. 23).

Indes scheint in der slowenischen Förderpolitik, die die Auslands-Promotion im Prinzip den Autoren selbst überläßt, seit kurzem ein Umdenken stattzufinden. Dies zeigt sich etwa an der Verleihung des „kleinen“ Prešerenpreises 2007 an Suzana Tratnik, die ein schönes Signal der Anerkennung literarischer Qualität ist. Und es offenbart sich auch an der Verleihung von Arbeitsstipendien an weitere Autoren, die bislang eher durch den Rost gefallen sind, sowie von Honorarzuschüssen an deren Übersetzer. Einer von diesen Autoren, denen nun endlich auch Anerkennung von offizieller Seite zuteil wird, ist Brane Mozetič.

Brane Mozetič, Jahrgang 1958, ist seit mehr als zwanzig Jahren eine der rührigsten Erscheinungen im literarischen Leben Sloweniens, Verlagsleiter, Herausgeber, produktiver Übersetzer aus dem Französischen, Programmdirektor des slowenischen Schwulen- und-Lesben-Filmfestivals, politisch aktiver Homosexueller und als Leiter des Zentrums für slowenische Literatur in Ljubljana auch solider Promotor slowenischer Literatur mit Kontakten in allen Erdteilen. Vor allem ist Mozetič einer der bedeutendsten slowenischen Gegenwartslyriker, dessen Gedichte außerhalb des deutschsprachigen Raumes ausgiebig rezipiert werden (Übersetzungen in mehr als zwanzig Sprachen). Mit seinem Roman Angeli 1996 (dt. Schattenengel, 2004) erwies er sich auch als exzellenter Prosaist. Es ist bezeichnend, daß Mozetič nicht mehr in die Planung der letzten Messeauftritte in Frankfurt und Leipzig eingebunden oder als Autor dorthin eingeladen wurde. Dennoch handelt es sich bei ihm um eine Erscheinung, die man besser nicht übergehen sollte, dazu ist seine Literatur einfach zu gut. Mit Zgubljena zgodba (2001) liegt nun auch sein zweiter Roman in deutscher Übersetzung vor.

Der Roman beginnt mit einer Präambel, in der ein als Herausgeber getarnter „B. M.“ erklärt, auf dem Parkplatz vor dem Klub Ambasada in Izola ein Konvolut mit Tagebuchaufzeichnungen gefunden zu haben, das wahrscheinlich jemand im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit dort vergessen hat. Er veröffentliche nun dieses Manuskript, weil es ihm nicht möglich gewesen sei, den Urheber ausfindig zu machen, und er hoffe, daß sich jemand, der den Autor oder andere Personen darin wiedererkenne, melden wird und daß auf diesem Weg die Aufzeichnungen ihrem Eigentümer zurückgegeben werden können.

Dieses „verlorene“ Manuskript erzählt die Geschichte Bojans, eines Ravers aus Ljubljana, Mittzwanziger, der irgendwann zwischen den exzessiven Partys, um die sich sein Leben dreht, ein Tagebuch zu führen beginnt. Schon im ersten Absatz wird klar, daß diese Niederschrift mehr ist als der Versuch, sich die Zeit zu vertreiben oder sich mithilfe eines Protokolls über etwas klar zu werden. Denn bei aller Intimität, mit der Bojan die Langeweile und Sinnlosigkeit seines Lebens ausbreiten wird, richtet er sich doch schon gleich zu Beginn an seinen „heimlichen Leser“, dem er unterstellt, sich am Unglück eines Fremden aufgeilen zu wollen.

Bojan lebt in einer offenen Beziehung mit Tim, der bemerkenswert farblos geschildert wird – er ist einfach da, läßt sich auch tagelang nicht blicken, wenn er gerade mal eine Eroberung gemacht hat. Diese Beziehung mit ihren Eifersüchteleien und kleinen Machtspielchen dreht sich oft nur um die Hauptfrage, in welchem Klub man das nächste Wochenende durchfeiern wird. Bei aller faulen Anspruchslosigkeit Tims (ausgenommen in den erotischen Szenen, in denen sichtbar wird, daß er der aktivere Teil ist) aber stellt diese Beziehung, in der es doch auch ruhige Zweisamkeit gibt, eine unverzichtbare Konstante in Bojans Leben dar.

Ganz anders der Gymnasiast Arjun, der sich mit panischer Gier ins Nachtleben stürzt und den Hals nicht vollbekommt. Er hat natürlich kein Geld, und Bojan versorgt ihn freigebig mit allem, was man sich auf den Partys so einwirft. (Bei seinem ganzen exzessiven Drogenkonsum fällt Bojans kategorische Ablehnung von Heroin auf, hinter der sich vermutlich eine einschlägige Vorgeschichte verbirgt). Arjun ist indischer Abstammung, ein Laibacher zweiter Generation. Die erotische Anziehung, die er auf ihn ausübt, kann sich Bojan nicht recht erklären, denn Arjun, der dauernd mit Frauen rummacht, sucht seine Nähe offenbar nur der Drogen wegen. Er wiederum, für den von dieser exotischen Erscheinung ein so unwiderstehlicher Reiz ausgeht, verspürt in den entscheidenden Momenten nie genug Lust, von Arjun sexuell Besitz zu nehmen. Er räumt überhaupt ein, unter dem Einfluß von Drogen impotent zu sein. So verwundert es nicht, daß er bald als derjenige dasteht, der von allen am wenigsten Sex abbekommt.

Über Arjun erfahren wir, daß er bei seinen Eltern lebt, die ihn bereits mit einem Mädchen verlobt haben, wodurch sein Fluchtbedürfnis eine Erklärung bekommt. Ansonsten sagt der Roman bemerkenswert wenig über die soziale Basis seiner Akteure aus. In einem Umfeld, in dem das meiste im kollektiven Drogenrausch passiert, spielt das schließlich auch kaum eine Rolle. Bojan ist in seiner introvertierten Passivität vielleicht der einzige, der mehr will als diese hysterische Suche nach dem Kick. Hier setzt das Tagebuch als distanzschaffendes Medium ein, das sich mit der Zeit zu verselbständigen beginnt. Bojan ist nämlich kein Realist, auch wenn er genau zu beobachten versteht und jene Empfindungen festhält, die ihm die Identifikation und die aktive Teilnahme am Geschehen unmöglich machen. Seine Versuche, Nähe zu empfinden, scheitern meist, wie gelegentlich auch die Versuche, die Drogen zu spüren.

Mozetič beschreibt sehr fein und überzeugend die psychischen Entgleisungen, die dieses unentschiedene Spiel um Nähe und Abstoßung begleiten und Bojan, der immerhin rational bleibt, zu einer Entscheidung drängen. Er, der sich bisher höchstens für ein paar Wochen in seine Wohnung und seine Gelegenheitsjobs zurückgezogen hat, um nicht unterzugehen, verfällt auf den Gedanken, zusammen mit Tim eine Reise nach Sansibar zu unternehmen und vielleicht sogar dort zu bleiben. Nach einigem hin und her gehen sie am Ende überraschend entschlossen an die Umsetzung dieses Plans. Aber natürlich drängt sich wieder Arjun auf, und man fährt schließlich zu dritt.

Was die drei auf Sansibar erleben und wie die Geschichte endet, das soll jeder selbst nachlesen. Nur so viel sei angemerkt, daß sich in Bojan, der doch nicht „die Schreibmaschine mit [sich] rumschleppen und ständig mittippen“ kann, am Ende in einer Weise aus sich heraustritt, daß ihm die kurzzeitige Überwindung seiner Passivität und damit auch der Verzicht auf sein „beschissenes Tagebuch“ möglich wird. Die Geschichte wird zum fiktiven Bericht, indem sie sich buchstäblich von ihrem Autor ablöst – der Ort, an dem sie „verloren“ wurde, verrät aber vielleicht einiges über die Art und Weise, wie sie in der Realität weitergedacht werden muß. Wie schon in Schattenengel wendet Mozetič in Die verlorene Geschichte ein protokollarisches Erzählverfahren an, das als Vorwand für ein subversives Spiel mit den Wirklichkeiten dient. So wirkt in den Schattenengeln mit ihren drastischen Detailbeschreibungen selbst ein begangener Mord nur als eine fiktive Handlungsmöglichkeit unter anderen – das Leben selbst erscheint nicht als wirklich. Die verlorene Geschichte ist weit weniger drastisch im Detail, sieht man von der selbstmörderischen Intensität der geschilderten Drogenexzesse ab. Ihr Protagonist ist kein Soziopath, sondern ein rational denkender Mensch, der die Grenzen und die Banalität menschlicher Beziehungen akzeptiert. Aber dem Abgrund der Leere, über den Mozetič mit fast schon grausam langem Atem erzählt, kommen wir in dieser Geschichte doch ein ganzes Stück näher. Gerade dadurch, daß Bojan sein Leben nicht über Bord wirft und sich im Grunde gleich bleibt, wirkt die Verlorene Geschichte kompromißlos auf den Leser, der sich der bedrückenden Monotonie der darin geschilderten Erlebnisse nicht entziehen kann.

Bei alledem ist der Roman voll mit Details und Milieuschilderungen, die allein schon die Lektüre des Buches lohnen. Wer etwas über die Spezies der „Tuntenmamas“ erfahren will, kann hier nachschlagen. Sehr erfrischend ist Mozetičs respektlose Art, mit der er den ganzen Beziehungskrampf und den Tratsch in der Schwulen-Community auf die Schaufel nimmt. Ein Freund Tims hat sich erschossen. Was wird geschehen? O-Ton: „Jeder wird seine eigene Geschichte zusammenphantasieren. Wie alte Nachbarinnen. Kein Unterschied. Ob alte Nachbarinnen oder junge Raver.“ Und, im Hinblick auf Tim: „So was belebt ihn. Da tut sich was. Man muß hundert Leute fragen, was eigentlich passiert ist. Wieviel Arbeit auf ihn wartet, denke ich mir. Und dann fragt er wie aus heiterem Himmel, ob er heimkommen kann. – Wie du meinst. Deine Sache.“ Übersetzer dieser Verlorenen Geschichte ist wieder Andrej Leben, der sich bereits mit den Schattenengeln (Passagen 2004), aber auch mit zwei Büchern von Suzana Tratnik (Unterm Strich, Milena 2002, Mein Name ist Damian, Milena 2005) als wichtiger und innovativer Vermittler slowenischer Gegenwartsliteratur profiliert hat. Das schön gemachte Buch ist im Klagenfurter Verlag Sisyphus erschienen. Wir freuen uns, wenn Andrej Leben im genannten Verlag noch dieses Jahr mit Schmetterlinge erstmals einen Gedichtband Mozetičs in deutscher Sprache vorlegen wird.

Erwin Köstler

Brane Mozetič: Die verlorene Geschichte. Aus dem Slowenischen von Andrej Leben. Klagenfurt: Sisyphus 2006. 189 S.

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