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Franz Nöstlinger

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2005-10-29

Gegenwart und Zukunft der Frauenarbeit

Der ursprüngliche Ausgangspunkt meiner Beschäftigung mit frauenspezifischen Frage­stellungen war eine Untersuchung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Frau und der Familie in Kärnten und deren Entwicklung in den letzten 40 Jahren. Diese der traditionellen Sozialindikatorenforschung verpflichtete Untersuchung sollte den in der Gesellschaft erreichten Grad der Individualisierung des Frauenlebens anhand des statistischen Datenmaterials analysieren, die eingetretenen Veränderungen aufzeigen und die erzielten Fortschritte, aber auch fortbestehende Benachteiligungen identifizieren. Das Ausmaß, in dem sich die Lebenschancen der Frauen verbessert haben, sollte dabei anhand der Entwicklung der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung, der Einkommens- und Pensions­entwicklung, aber auch an der Differenzierung der Lebensformen aufgezeigt werden.

Dabei hatte die Sozialindikatorenforschung im – nachträglich gesehen – goldenen Zeitalter der Sozialdemokratie durchaus einen Adressaten und einen konkreten, praktisch-politischen Bezug. Sie konnte, indem sie die Gegenwart an der Vorstellung einer besseren Zukunft relativierte, einerseits den Frauen zu einem vertieften Verständnis ihrer Lebenslage verhelfen und andererseits der Politik ein Instrument zur gezielten Gestaltung und Entwicklung gesellschaftlicher Lebensverhältnisse bereitstellen. Bekanntlich beanspruchte im sozialdemokratischem Zeitalter die Politik noch die Kompetenz zur umfassenden gesellschaftlichen Regulierung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse. Politische Eingriffe in das freie Spiel der Marktkräfte waren nicht verpönt, sondern im Gegenteil Voraussetzung und Bedingung sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritts. Die möglichst gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Wohlstandsentwicklung sollte durch den Ausbau des Sozialstaates und der ständigen Qualitätsverbesserung der öffentlichen Güter erreicht werden. Durch sozialstaatliche Umverteilungsmaßnahmen sollten die Lebenschancen der Menschen immer weiter von ihrer Marktposition entkoppelt und auch den Ärmeren, sozial Schwächeren und weniger Gebildeten sozialer Aufstieg und eine ständig verbesserte Teilhabe am soziokulturellen Reichtum der Gesellschaft ermöglicht werden.

Dadurch konnte ein breiter Individualisierungsprozess, von dem insbesondere die Frauen profitiert haben, in Gang gesetzt werden: Die Verbesserung der Bildungschancen und die ständig steigende Erwerbs­betei­ligung, waren ebenso wie die Entlastung von der reproduktiven Arbeit durch den Ausbau der sozialen Infrastruktur die Voraussetzung für die Überwindung patriachaler Abhängigkeitsverhältnisse und für die selbstbestimmte Wahl des eigenen Lebens­entwurfes. Auf dem Hintergrund verbesserter Aufstiegschancen wurde die auf geschlechtspezifischer Arbeitsteilung beruhende traditionelle Geschlechterordnung sukzessive aufgelöst: Auch die Frauen verdankten ihre Stellung in der Gesellschaft zunehmend der im Bildungs- und Erwerbsarbeitsmarktsystem selbst erbrachten Leistungen und immer weniger der Eheversorgung und Familiengründung. Ihr sozialer Status ist nicht mehr länger ein abgeleiteter, sondern ein durch eigene Leistung selbst erworbener.

So konnten die Frauen im sozialdemokratischen Zeitalter ihre Lebenslage ständig verbessern und ihre Erwerbsbiographie sukzessive an die der Männer angleichen: Die Frauen unterbrechen den Beruf immer seltener, schaffen häufiger den Wiedereinstieg und versuchen auch als Familienfrauen ihre Berufsverläufe möglichst langfristig und kontinuierlich zu gestalten. Allerdings besteht am Arbeitsmarkt die vertikale und horizontale Segregation weiter fort, und auch die Einkommensunterscheide wurde nicht aufgehoben. Kinder stellen insbesondere bei Alleinerzieherinnen immer noch ein hohes Armutsrisiko dar und Kindererziehungs- und Pflegezeiten werden bei der Berechnung der Renten auch heute noch nur unzureichend berücksichtigt.

Der im sozialdemokratischen Zeitalter durch den Ausbau des Sozialstaates ebenso wie durch eine aktive Frauenbewegung in Gang gekommene Prozess der Emanzipation der Frauen findet freilich gegenwärtig in den neoliberalen Gesellschaften keine Fortsetzung. Die Beseitigung der noch fortbestehenden Schranken der Individualitätsentwicklung ist nicht mehr länger ein politisches Ziel. An der Verbesserung der Lage der Alleinerzieherinnen, an der Bekämpfung der Altersarmut der Frauen oder an einer, die familialen Belange berücksichtigenden Gestaltung der Arbeitszeit ist die Politik nicht interessiert. Man schränkt nicht die Macht der Ökonomie über das Leben der Menschen ein, sondern weitet sie im Gegenteil trotz gestiegener Arbeitsproduktivität immer weiter aus. Man entwickelt die Gesellschaft nicht, wie es schon vor langer Zeit Ökonomen wie Keynes, Wagner oder Neumark gefordert haben, in Richtung auf einen Kultur- und Wohlfahrtsstaat weiter, indem man die gestiegene Arbeitsproduktivität für die Ausweitung des kollektiven Konsums nutzt und die Qualität der Bildungs- und Erziehungseinrichtungen oder auch der Gesundheits- und Pflegedienste ständig verbessert. Man steigert bekanntlich im Gegenteil in immer absurderer Weise die materielle Waren- und Güterproduktion weiter und versucht, den Rückgang der Arbeit immer wieder von neuem durch weiteres Wirtschaftswachstum zu kompensieren. Dadurch erhöhen wir aber schon lange nicht mehr die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, sondern erkaufen nur die Produktion von immer Sinnloserem mit wachsenden sozialen und ökologischen Folgekosten: Die verselbständigte Reichtumsakkumulation, von der nur noch wenige profitieren, erfolgt zusehends auf Kosten von Natur und Mensch und zerstört, wie schon Marx prophezeite, die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums, nämlich die Natur und den Arbeiter. So wird auch der Rückgang der Erwerbsarbeit nicht als Chance für die Arbeit an der Vermenschlichung der Gesellschaft begriffen, sondern als Zwang erfahren, unter immer unwürdigeren Bedingungen um knappe Arbeit nachzufragen. Statt hinter die Arbeit zurückzutreten und sich in ihrer reichen Individualität entwickeln zu können, werden die Menschen in immer gewaltförmigerer Weise der Kapitalverwertung unterworfen und bleiben trotz anderer emanzipatorischer Möglichkeiten im Reich der Notwendigkeit gefangen: Die Entfaltung des Menschen und aller Menschen bleibt auch weiterhin der Waren- und Güterproduktion nach- und untergeordnet.

Dadurch verschlechtern sich aber auch ständig die Arbeitsbedingungen der Menschen: Die Arbeit wird dereguliert und flexibilisiert, langfristige, kontinuierliche und sichere Beschäftigungsverhältnisse werden seltener, die Menschen arbeiten bei sinkendem Einkommen und unter immer unsicheren Bedingungen mehr und länger und durch die Verlängerung der Arbeitszeiten wird im wachsendem Maße auch die Freizeit kolonialisiert: Die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit werden fließender, die ständige Produktionsbeschleunigung zwingt zur ständigen Weiterqualifikation und reduziert die für den Erhalt der Arbeitskraft notwendige Reproduktionszeit ebenso wie die Sozialzeit der Menschen. Sie werden zusehends nur noch am Maßstab der Produktivität gemessen, als bloßer Kostenfaktor wahrgenommen und auf eine variable Marktgröße reduziert.

Ebenso erscheint trotz des Reichtums der Gesellschaft der Sozialstaat – im sozialdemokratischen Zeitalter noch die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit – nur noch als Schranke der Kapitalverwertung. Er schränkt angeblich die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft ein und hindert die Menschen daran ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen. Wenn aber öffentliche Dienstleistungen gekürzt werden, verschlechtert sich zwangsläufig die Qualität der Kindergärten, der Schulen, der Universitäten und der Alten- und Pflegeheime. Die Gesellschaft betrachtet es dann nicht mehr als ihre Aufgabe, allen Menschen einen uneingeschränkten Zugang zu öffentlichen Gütern zu ermöglichen. Sie überlässt die Verteilung der Lebenschancen der Menschen wieder dem freien Spiel der Marktkräfte. Die ständige Verbesserung der Qualität der Kinderbetreuung, der Ausbildung oder auch der Pflege im Alter gehört nicht mehr länger zur Zielsetzung der Politik.

Von diesen Entwicklungen sind Frauen im besonderen Maße betroffen. Eine lineare Fortsetzung ihres erwerbsbiographischen Emanzipationsprozesses ist in Anbetracht wachsender Arbeitslosigkeit, der Zunahme der Teilzeit- und der geringfügigen Beschäftigung und der zunehmenden Flexibilisierung und Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse nicht zu erwarten. Die Arbeitsmarktindividualisierung der Frauen vollzieht sich im Gegenteil unter immer prekäreren Bedingungen und führt immer seltener zur erwünschten ökonomischen Unabhängigkeit. Trotz der gestiegenen Erwerbsquote der Frauen hat sich deren weitere Arbeitsmarktintegration nämlich hauptsächlich über die Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung vollzogen: Beschäftigungszuwächse verdanken sich in erster Linie der Umverteilung des stagnierenden bzw sinkenden Arbeitsvolumens. Darüber hinaus sind Frauen auch sehr viel häufiger als Männer in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen zu finden und von deren Prekarisierung stärker betroffen: Sie sind in den meisten Fällen schutzloser als sie den Marktrisiken ausgeliefert und profitieren daher auch weniger von den entkommodifizierenden Wirkungen des Sozialstaats. Ebenso erhöhen die Anhebung des Pensionsantrittsalters und die Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes das Armutsrisiko im Alter. Auch sind die Frauen vom Abbau des Sozialstaates – im Dienstleistungsbereich hatten die Frauen bekanntlich die größten Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen – besonders betroffen: Die Liberalisierung der Dienstleistungen führt nicht nur zu Beschäftigungsverlusten, sondern mindert auch die Qualität der Arbeitsplätze. Auch werden Frauen in Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung kaum ein ausreichendes Einkommen und eine existenzsichernde Pension erwirtschaften können: Sie werden verstärkt von Altersarmut betroffen sein und auch weiterhin von der Eheversorgung abhängig bleiben. Die Flexibiliserung und Verlängerung der Arbeitszeiten, der Zwang zur ständigen Verfügbarkeit und Abrufbarkeit und die zunehmende Kolonialisierung der Freizeit, also die Entgrenzung der Arbeit und die Verbetrieblichung der gesamten Lebensführung machen die Synchronisation von beruflichen und familiären Anforderungen, die Verbindung von Arbeit und Leben, von Arbeits- und Sozialzeit zu einem immer schwierigeren Unterfangen. Vermutlich werden dann nur noch Frauen, die von allen sozialen Verpflichtungen befreit sind, dem neoliberalen Ideal des Arbeitskraftunternehmers gerecht werden können. Eine vollständige Arbeitsmarktindividualiserung wird in Anbetracht der Verknappung sozial abgesicherter Vollerwerbsarbeitsplätze so nur einer Minderheit der Frauen, meistens um den Preis des Verzichtes auf familiäre Bindungen, möglich sein. Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, werden mit einem existenzsichernden Einkommen kaum noch rechnen können und ihre Familienbindung mit neuerlicher Eheabhängigkeit bezahlen. Ebenso erfolgt die Ausweitung des Niedriglohnsektors – hier sind die größten Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen – auf Kosten der Frauen: Sie sind in ihm überproportional vertreten und – wie der neue Armutsbericht zeigt – trotz Beschäftigung gehäuft von Armut bedroht.

Für die Mehrheit der Frauen hat deren verstärkte Arbeitsmarktbeteiligung nicht zu einer Verbesserung ihrer ökonomischen und sozialen Lage beigetragen. Es haben sich im Gegenteil deren erwerbsbiographische Risiken und vor allem auch deren Armutsgefährdung erhöht. Darüber hinaus wird aber die Individualisierung der Frau auch noch zusätzlich durch den neoliberalen Abbau des Sozialstaates erschwert. Von ihm sind die Frauen nämlich in besonderem Maße betroffen. Ihre Partizipation am Arbeitsmarkt setzt die Entlastung von familialer Arbeit durch eine ausgebaute Infrastruktur an Betreuungseinrichtungen voraus. Ohne Wohlfahrtsstaat ist eine eigenständige biographische Lebensplanung und die erhoffte Unabhängigkeit von der Eheversorgung nicht zu erreichen.

Wenn aber der Sozialstaat durch Rückbau seiner Leistungen seine "dekom­modifizierenden" Aufgaben nicht mehr erfüllt, müssen die Frauen die Betreuungsarbeit wieder selbst übernehmen oder soziale Dienste am dann "liberalisierten" Dienstleistungsmarkt als "Ware" zukaufen. Dann werden höherwertige Dienstleistungen wieder zum Privileg weniger, weil nur besserverdienende Frauen die Mittel haben werden, privatwirtschaftliche Substitute für einst öffentlich angebotene sozialstaatliche Leistungen zu finden und zu finanzieren. Die meisten Frauen werden Versorgungsdefizite im Kinderbetreuungs- und Pflegebereich durch eigene Mehrarbeit und nicht durch den Zukauf fremder Arbeitskraft bewältigen müssen.

Auch dadurch verschärft sich die Ungleichheit in der Gesellschaft. Weil die Bereitstellung und ständige Qualitätsverbesserung der sozialen Dienste nicht mehr Aufgabe der Politik ist, werden Kinder aus ärmeren Familien oder pflegebedürftige alte Menschen mit geringerem Einkommen kaum noch mit einer qualitativ hochwertigen Betreuung rechnen können. Eine allgemeine Verschlechterung der Qualität der Dienstleistungen und eine wachsende Ungleichheit im Zugang zu ihnen wird die Folge sein.

In der neoliberalen Gesellschaft muss bekanntlich jeder Einzelne für sich selbst sorgen, die Marktrisiken individuell bewältigen und Defizite der Politik selbst kompensieren. An die Stelle der Idee einer gerechten Gesellschaft, die zu gestalten Aufgabe der Politik ist, tritt dann die Eigenverantwortung des „aktiven“ Bürgers, der durch Eigenleistung die Versorgungslücken schließen soll, die der Staat durch den Abbau öffentlicher Dienstleistungen verursacht hat. Dabei sind freilich die Ressourcen, die dem Einzelnen zu Verfügung stehen, sozial unterschiedlich verteilt. Der Abbau sozialstaatlicher Sicherheiten wird nämlich nur von wenigen als Erweiterung ihrer Handlungsspielräume gesehen werden können. Nur die Einkommensstarken werden die öffentlichen Wohlfahrtsdefizite durch Eigenleistung kompensieren können: Nur sie können sich eine teure Privatversicherung leisten, ihre Kinder auf private Universitäten schicken, selbst eine Haushaltshilfe anstellen oder für die soziale Sicherheit im Alter vorsorgen. Die meisten Menschen werden die durch Deregulierung der Arbeit und den Abbau kollektiver Sicherheiten entstandenen neuen Freiräume nicht als Chance für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, sondern im Gegenteil als ständige Prekarisierung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen erfahren: "Denen unten", so formulierte es schon Adorno, "wird Individualität versagt durch die Ordnung des Eigentums". Weil so Individualisierungsprozesse je nach der Stellung des Einzelnen im Herrschaftsgefüge der Gesellschaft unterschiedliche Folgen haben, werden durch sie soziale Ungleichheiten und Machtunterschiede in der Gesellschaft nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil verfestigt und verstärkt. Lebenschancen werden nicht mehr egalisiert, sondern immer selektiver nach dem Matthäusprinzip verteilt: Wer hat, dem wird gegeben.

Das Kapital, das sich zunehmend alle Lebensbereiche unterwirft, universalisiert und verfestigt so seine Herrschaft über den Menschen und die Gesellschaft, weil es ihm gelingt, sich als Ausdruck der Gesamtgesellschaft darzustellen und partikulare Interessen als gesamtgesellschaftliche auszugeben. Die wachsende Ungleichheit in der Verteilung sozialer Lebenschancen wird dadurch dann auch öffentlicher Thematisierung entzogen und die Politik von der Verantwortung für sie entlastet. Die Modernisierungsverlierer müssen ihr Schicksal als selbstverschuldetes interpretieren und auf ihren eigenen Mangel an Durchsetzungsvermögen und Leistungsbereitschaft zurückführen; sie scheitern nicht an ungerechten gesellschaftlichen Strukturen, sondern an ihrer eigenen Unfähigkeit, sich als unternehmerische Marktsubjekte zu behaupten und den Ansprüchen der neoliberalen Ich-AG gerecht zu werden. Dadurch kann sich dann auch die Politik von der Verantwortung entlasten, gestaltend in die Verursachungszusammenhänge von sozialer Ungleichheit, Massenarbeitslosigkeit, Armut und Sozialstaatsdefiziten einzugreifen. So wird die Gesellschaft wieder zur Natur und der Gestaltung durch handelnde Subjekte entzogen. Es bleibt nur die Anpassung an Sachzwänge und die Unterwerfung unter eine gesellschaftliche Realität, die, obwohl vom Menschen gemacht, nicht mehr als veränder- und gestaltbare begriffen wird. Die Menschen aber, die an den unverfassten ökonomischen Mächten scheitern, bleiben ohne politische Stimme. Gleichzeitig wächst aber das soziale Leid in der Gesellschaft, weil die Krisenlasten mit den Ressourcen, die den Betroffenen zur Verfügung stehen, nicht bewältigt werden können. Die Zunahme psychischer Erkrankungen bei den Erwerbstätigen, verursacht durch die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse, die wachsende Armut in der Gesellschaft, vor allem bei Alleinerzieherinnen und kinderreichen Familien, das psychische Elend alter Menschen in Pflegeheimen und die wachsenden Belastungen der Frauen, die einerseits den gestiegenen Ansprüchen der Arbeitsmarktindividualisierung gerecht werden müssen und andererseits bei der Erbringung ihrer Familienarbeit mit sozialstaatlicher Unterstützung immer weniger rechnen können, sind ein Beweis dafür, dass eine wachsende Zahl von Menschen den steigenden Anforderungen der Arbeitsmarktindividualisierung nicht gerecht werden kann. Sie sind auch nicht in der Lage, die neoliberalen Sozialstaatsdefizite eigentätig zu kompensieren. Konflikte und Belastungen, die durch die strukturelle Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber den sozialen Belangen der Menschen verursacht sind, werden dann auch von den Frauen in individuell zu bewältigende Probleme uminterpretiert und nicht mehr zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht. Die objektiv sich verschlechternden Chancen, Beruf und Familie zu vereinbaren, die eigenen erwerbsbiographischen Ansprüche unter erschwerten Arbeitsmarktbedingungen zu realisieren und gleichzeitig trotz Sozialstaatsabbaus den familiären Verpflichtungen gerecht zu werden, stellen für die meisten Frauen eine objektive Überforderung dar. Sie wird, obwohl gesellschaftlich bedingt, auf dem Hintergrund der neoliberalen Ideologie der Selbstverantwortung in ein individuell zu bewältigendes Problem uminterpretiert und als persönliches Versagen erfahren.

So gibt es trotz der objektiven Verschlechterung der Lebenslage der Frauen derzeit auch leider keine nennenswerte Frauenbewegung, durch die die Frauen sich für ihre Anliegen eine Öffentlichkeit verschaffen könnten. Die Frauen, die die neoliberale Ideologie der Eigenverantwortung selbst internalisiert zu haben scheinen, lehnen kollektive Organisationsformen zur Durchsetzung ihrer Interessen mehrheitlich ab und halten sie für altmodisch und überholt: Sie blenden die gesellschaftlichen Ursachen ihrer Konflikte aus und betrachten ihre subjektiv tagtäglich erfahrene Überforderung und das Scheitern ihrer biographischen Lebensentwürfe als individuell verschuldet. Sie suchen nach persönlichen Lösungen für in Wirklichkeit gesellschaftliche Probleme und glauben an die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs durch persönliche Tüchtigkeit und Leistung. Dabei ersetzt das Interesse an der Teilhabe am Bestehenden zunehmend das Interesse an gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Die Unterwerfung und Anpassung an eine schlechte Wirklichkeit, die weder in ihrer Genese noch in ihrer Veränderbarkeit durchschaut wird, tritt dann an die Stelle handlungsanleitender Utopien, in denen eine bessere Gesellschaft vorweggenommen werden könnte. Aber auch die feministischen Theorien selbst scheinen ihre politische Sprengkraft verloren zu haben. Auch sie verzichten zunehmend auf die Ausarbeitung alternativer Gesellschaftsentwürfe, die das Handeln der Frauen anleiten und ihnen eine Perspektive geben könnten. Die von der realen gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend abgekoppelte, auf den Universitäten institutionalisierte Frauenforschung beschränkt sich weitgehend auf reine Theoriediskussion ohne politische Relevanz und dient eher der akademischen Selbstprofilierung der Wissenschaftlerinnen als dem gesellschaftspolitischen Fortschritt. Feministische Theorien leisten – darauf weisen u.a. auch Ingrid Kurz-Scherf und Barbara Holland-Cunz hin – keine umfassende Gesellschaftskritik mehr, entwickeln keine handlungsanleitenden Utopien einer besseren Gesellschaft und verlieren zunehmend ihren Bezug zur Lebensrealität der Frauen.

Feministische Theorien begreifen die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr länger unter dem Gesichtspunkt ihrer Veränderbarkeit und genügen daher auch nicht den Ansprüchen einer kritischen Theorie, von der Max Horkheimer einmal sagte, dass auch in schwierigen Zeiten die wissenschaftliche "Konstruktion der Gesellschaft unter dem Bilde einer radikalen Umwandlung, das die Probe seiner realen Möglichkeit noch gar nicht bestanden hat", zu erfolgen habe. Dadurch sind sie dann auch nicht mehr länger in der Lage, den gegenwärtig individuell zu verarbeitenden Leidenserfahrungen der Frauen kollektiven Ausdruck zu verleihen und sie in einen gemeinsamen Kampf für eine bessere Zukunft zu übersetzen. In Wirklichkeit ist aber in Anbetracht der wachsenden sozialen und ökologischen Kosten der Kapitalverwertung die Zeit für akademische Glasperlenspiele schon lange vorbei. Es ist notwendiger denn je, das gegenwärtig Wirkliche an einen Begriff des gesellschaftlich Möglichen zu relativieren, an den Ursachen der Probleme selbst ansetzende Veränderungsstrategien zu entwickeln und Wege aufzuzeigen, wie handelnd und verändernd in den Entstehungszusammenhang von sozialer Ungleichheit, Massenarbeitslosigkeit, Armut und Sozialstaatsabbau eingegriffen werden kann. Nur so werden die Menschen sich den von ihnen produzierten gesellschaftlichen Reichtum auch wieder für ihre eigenen Zwecke aneignen können. Aus diesem Grunde sollten gerade die Frauen – sie sind vom neoliberalen Strukturwandel noch stärker betroffen als die Männer – Antworten auf die Krise der Arbeitsgesellschaft zu geben versuchen und konkrete Alternativen aufzeigen, wenn sie sich als aktive Subjekte in die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels einbringen und die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft ihren eigenen Interessen gemäß mitgestalten wollen.

Die Zukunft der Frauenarbeit kann nämlich nicht, wie es derzeit aussieht, in einer Ausweitung des Niedriglohnsektors liegen. An einer Gesellschaft teilzuhaben, die sich zunehmend in eine Sklavenhaltergesellschaft verwandelt, in der mit immer geringerem Einkommen unter immer schlechteren Bedingungen immer Sinnloseres produziert wird, kann nicht der Sinn der Verwirklichung der erwerbsbiographischen Emanzipationsansprüche der Frauen sein. Mehr vom "schimmligen Kuchen" zu bekommen, wie es Gisela Notz einmal formuliert hat, ist in Anbetracht der wachsenden Kontraproduktivität gesellschaftlicher Arbeit kein wünschenwertes Ziel. Umgekehrt werden die Frauen trotz der sich verschlechternden Arbeitsmarktlage aber auch nicht bereit sein, sich aus der Erwerbsarbeit zurückzuziehen und sich wieder auf die Familienarbeit zu beschränken. Sie werden sich, wie es sich manche Konservative wünschen, mit einer bloß ideellen Aufwertung der Familienarbeit oder mit deren Bezahlung in Form eines minimalen Bürgergeldes nicht begnügen. Frauen werden an ihren erwerbsbiographischen Ansprüchen festhalten und nicht bereit sein, der Familienarbeit wegen auf die Verwirklichung ihrer beruflichen Interessen zu verzichten. Frauen, die es sich leisten können, werden dann mangels an öffentlicher Unterstützung auf den im Wachsen begriffenen liberalisierten Dienstleistungsmarkt zurückgreifen und sich dort die Betreuungsarbeit als Ware zukaufen. Sie bedienen sich dann der Arbeit anderer, schlechter bezahlter Frauen, um sich selbst von der eigenen Betreuungsarbeit entlasten zu können. Dann wird freilich die erwerbsbiographische Emanzipation weniger Frauen mit der Abhängigkeit vieler anderer erkauft. Die meisten Frauen, denen diese "Entlastung" nicht zur Verfügung steht, werden aber Sozialstaatsdefizite durch eigene Mehrarbeit und unter Inkaufnahme beruflicher Nachteile bewältigen müssen. Auch hier zeichnen sich neue Ungleichheiten ab.

Darüber hinaus besteht durch die neoliberale Privatisierung der Betreuungsarbeit und deren Auslagerung auf den freien Markt die Gefahr, dass sich die Gesellschaft in eine kalte, inhumane Tauschgesellschaft verwandelt, in der der Bedürftigkeit des Menschen nicht mehr Rechnung getragen wird. Wenn auch selbst noch die Sorgearbeit zum Gegenstand des Tausches wird, verwandeln sich nämlich alle menschlichen Beziehungen in versachlichte und kalte Tauschbeziehungen. Die Menschen erhalten dann immer nur das, was ihnen aufgrund ihrer Marktposition und nicht aufgrund ihrer Bedürftigkeit zusteht. In Wirklichkeit müsste aber die Bedürftigkeit des Menschen und nicht dessen Tauschwert über die Verteilung der in der Gesellschaft geleisteten Sorgearbeit entscheiden. Eine Gesellschaft ist nämlich umso gerechter, je mehr der Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum von der Marktposition abgekoppelt und zu einem Recht wird, auf das alle Menschen einen Anspruch haben. Am liberalisierten Dienstleistungsmarkt werden dagegen die Lebenschancen der Menschen immer ungleicher verteilt: Er führt zur Unterversorgung der sozial Schwächeren und trägt zur Reproduktion und Verfestigung sozialer Ungleichheiten bei. Dann werden Erziehung, Pflege, aber auch Gesundheit und Bildung wieder zu einem knappen Gut, das sich nur noch wenige leisten können. Nur noch einkommenstarke Familien werden eine qualitativ hochwertige Betreuung ihrer Kinder finanzieren können, während einkommenschwache Familien kaum in der Lage sein dürften, öffentliche Versorgungsdefizite durch private Eigenleistung ausreichend zu kompensieren. Mit einer gezielten Förderung ihrer Entwicklungschancen und einer Kompensation sozialisationsbedingter Benachteiligungen werden Kinder aus ärmeren Familien nicht mehr rechnen können. Ebenso werden, wenn höhere Bildung zu einem Gut wird, das am Bildungsmarkt gekauft werden muss, unterpriviligierte Bevölkerungsgruppen vom Zugang zu ihr ausgeschlossen sein: Dann wird sich das allgemeine Bildungsniveau der Gesellschaft wieder rückläufig entwickeln und soziale Ungleichheiten werden sich wieder verstärkt reproduzieren. Auch ältere Menschen werden im wachsenden Maße nicht mehr mit einer ausreichenden Pflegequalität rechnen können: Die Seniorenresidenzen können sich bekanntlich nur wenige leisten. Alle diese Szenarien stellen für die Frauen keine wünschenswerte Zukunft dar. Die Frauen stehen immer noch vor einer Entweder-oder-Situation und sind von einer gleichberechtigten Teilhabe an beiden Lebensbereichen weiter den je entfernt. Ihre doppelte Vergesellschaftung werden sie aber erst dann nicht mehr als Mehrfachbelastung, sondern als Chance auf ein reicheres und selbstbestimmteres Leben erfahren können, wenn auch die Sorgearbeit in gesellschaftliche Anerkennungsverhältnisse einbezogen wird und die Bedürfnisse derer, die Sorgearbeit leisten, zum Maßstab für die politische Gestaltung des Reproduktionsbereiches gemacht werden. Solange die Sorgearbeit immer nur als Schranke der Kapitalverwertung erscheint, wird sie immer nur als Last und nie als Bereicherung erfahren werden können. Erst wenn sie als autonome Tätigkeit organisiert ist, kann sie zu einen wesentlichen Bestandteil der Biographie eines jeden Einzelnen werden.

Die neoliberale Gesellschaft vermag für ein "gutes" Leben aller Menschen nicht zu sorgen. Durch die Krise des Arbeitsmarktes, den Sozialstaatsabbau und die Privatisierung öffentlicher Güter verschärft sich zwangsläufig die Ungleichheit in der Gesellschaft, weil die Verteilung der Lebenschancen zunehmend der Tauschgerechtigkeit des Marktes überantwortet wird. Weil im Zuge der Durchkapitalisierung der Gesamtgesellschaft auch noch die Fähigkeitsentwicklung der Menschen der Kapitalverwertung unterworfen wird, werden deren Entwicklungschancen zunehmend eingeschränkt und wachsende soziale Folgekosten produziert. Die vermeintlichen "Sachnotwendigkeiten" der Wirtschaft beschneiden dann die Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen und bestimmen, was für die Erziehung der Kinder, für die Bildung Jugendlicher, für die Gesundheit und Pflege alter Menschen – gerade noch – übrig bleibt. Die Ökonomie kümmert sich dabei nicht um die um ihre Entfaltungschancen betrogenen Kinder und Jugendlichen oder um das psychosoziale Elend, das in Alten- und Pflegeheimen tagtäglich produziert wird: Sie steht dem Schicksal der Menschen gleichgültig gegenüber und stellt es auch bei ihren Bilanzen nie in Rechnung. Im Gegenteil: Das Budget ist bekanntlich umso eher saniert, umso weniger in die Betreuung der Kinder, der Ausbildung der Jugendlichen und in die Pflege alter Menschen investiert zu werden braucht. In Wirklichkeit ist aber der Reichtum der Gesellschaft umso größer, je mehr in Bildung, Gesundheit und in -die Qualitätsverbesserung der Kinderbetreuung oder auch der Altenpflege investiert wird. Statt in Anbetracht der erreichten Produktivität menschliche Arbeit immer wieder von neuem in immer sinnloserer Weise für die materielle Reichtumsproduktion zu verausgaben und dabei den Reichtum weniger mit wachsender Naturzerstörung, sozialer Desintegration und der psychischen Verelendung einer wachsenden Zahl von Menschen zu erkaufen, sollte daher die Arbeit an der "Vermenschlichung" der Gesellschaft zum eigentlichen Inhalt der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion gemacht werden. Die Entwicklung des Menschen bräuchte nicht mehr länger an den Prozess der Kapitalverwertung gebunden und dadurch eingeschränkt bleiben. Weil der gesellschaftliche Fortschritt umso größer ist, je höher die Zeitanteile sind, die den Menschen für Erziehungs-, Bildungs-, Pflege- und Betreuungsarbeit zur Verfügung stehen, sollte die durch Produktivitätsfortschritte gewonnene Zeit für die ständige Verbesserung des Qualitätsniveaus der in der Gesellschaft anfallenden sozialen Arbeit genutzt werden. Der ökonomische Reichtum müsste in einen sozialen und zivilgesellschaftlichen Fortschritt transformiert und für die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen Dienstleistungsgesellschaft genutzt werden. Der Rückgang der Arbeit – Folge gestiegener Produktivität – bräuchte dann nicht mehr länger zu Armut, Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und sozialstaatlicher Leistungsminderung führen. Er kann im Gegenteil in realen Wohlstand überführt und als Chance für die Entfaltung der reichen Individualität des Menschen durch die ständige Qualitätsverbesserung der sozialen Dienste genutzt werden. Die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder, die Bildungsinteressen der Jugendlichen und die Pflege- und Betreuungsansprüche alter Menschen wären nicht mehr durch das Kapitalverwertungsinteresse eingeschränkt; sie könnten im Gegenteil durch Investitionen in den immateriellen Reichtum der Gesellschaft ständig weiterentwickelt und auf einem immer höheren Niveau in immer differenzierterer Weise befriedigt werden. Dann bräuchten Schulen keine Lernfabriken sein und Kinderbetreuungseinrichtungen und Pflegeheime wären nicht mehr länger bloße Aufbewahrungsanstalten: Sie könnten in Orte des Lebens und der menschlichen Entwicklung umgewandelt werden. Ebenso müsste die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen – bei verkürzter Erwerbsarbeitszeit und einer familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt – nicht mit dem Verlust an gesellschaftlich notwendiger Beziehungsarbeit erkauft werden. Bei insgesamt reduzierter Erwerbsarbeit könnten sich alle Menschen in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens an der in der Gesellschaft anfallenden Sorgearbeit beteiligen, sie mit der Erwerbsarbeit kombinieren und so – ohne Diskriminierung im jeweils anderen Bereich – zur immateriellen Wohlfahrtsproduktion beitragen. Weil dann auch die Menschen nicht mehr am Maßstab der Produktivität gemessen zu werden brauchen, könnte auch – um ein Wort von Marx abzuwandeln – den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen des Einzelnen Rechnung getragen werden. Jeder könnte seinen eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen gemäß gefördert werden und seine eigenen Entwicklungspotentiale voll ausschöpfen.

Die Gesellschaft wird sich daher darüber verständigen müssen, worin in Zukunft ein gutes Leben für alle Menschen bestehen könnte. Statt sich von einem weiteren ökonomischen Wachstum eine Lösung der gravierenden sozialen Probleme zu erhoffen, wäre es daher sinnvoller, die materielle Reichtumsproduktion an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen zu begrenzen und die gestiegene Arbeitsproduktivität für den Ausbau und die Weiterentwicklung einer qualitativ hochwertigen Dienstleistungsgesellschaft und damit für mehr kollektiven Konsum zu nutzen. Dabei kommt meines Erachtens im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zukunft der Arbeit feministischer Politik eine wichtige Aufgabe zu. Sie muss die psychosozialen Folgekosten der neoliberalen Marktgesellschaft aufzeigen und sie, die mit ihrem ökonomischen Reichtum gleichzeitig immer auch die Verarmung des Menschen mitproduziert, an der Idee der Gesellschaft relativieren, die ihre Arbeitsproduktivität und potentiellen Zeitwohlstand in eine Chance zur Entwicklung des Menschen und zur Produktion ihres immateriellen Reichtums zu transformieren vermag. Während wir uns nämlich umso verbissener um die Schaffung neuer Erwerbsarbeitsplätze bemühen, je mehr der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, vernachlässigen wir sträflich all die Arbeiten, die für die Entwicklung des Menschen und damit für die Zukunft der Gesamtgesellschaft notwendig sind. Wir fragen weder nach den gesellschaftlichen Kosten der sich verschlechternden Aufwuchs- und Sozialisationsbedingungen der Kinder und Jugendlichen, noch überlegen wir uns, was es für den Kulturzustand einer Gesellschaft bedeutet, wenn in den Pflegeheimen abertausende alte Menschen ihrer Würde beraubt werden und sich selbst nur noch als überflüssige Kostenverursacher mit vorprogrammiertem Ablaufdatum erfahren können.

Deshalb scheint es mir Aufgabe feministischer Politik zu sein, die Entwicklungs­bedürfnisse der Kinder, die Bildungsinteressen der Jugendlichen und die Pflege und Betreuungsansprüche alter Menschen gegenüber der Macht des Kapitals zu vertreten und deren Würde zu verteidigen, sich gegen die Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche zur Wehr zu setzten und die Deformationen des Menschlichen aufzuzeigen, die durch die wachsende Inwertsetzung auch der Erziehungs-, Bildungs- und Pflegearbeit entstehen und sich als gesamtgesellschaftliche Kosten niederschlagen. Sie hat deshalb auch Vorschläge zur Verbesserung der Aufwuchsbedingungen der Kinder, der Lebenslage der Jugendlichen und der Pflegequalität im Alter zu erarbeiten und sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung sozialstaatlicher Dienstleistungen ebenso einzusetzen, wie sie immer wieder von neuem die Verbesserung der Rahmenbedingungen einzuklagen hat, unter denen gegenwärtig in der Gesellschaft Sorgearbeit geleistet wird. Auch sie muss unter anderem durch Arbeitszeitverkürzung, eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt und eine bessere sozialrechtliche Absicherung zu einer autonomen Tätigkeit werden können. Sie hat eine Gesellschaft vorweg zu nehmen, in der die nie an ihr Ende gelangende Arbeit an ihrer Vermenschlichung zum vornehmsten Ziel aller Tätigkeiten wird.

Dann kann auch die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums nach Kriterien der Bedürfnisgerechtigkeit erfolgen und müsste nicht mehr länger der immer nur formalen Tauschgerechtigkeit des Marktes überlassen bleiben. Dann wäre jener Zustand erreicht, den Marx beschrieben hat: "Nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." Dann braucht auch das Leben nicht mehr länger auf Produktion und Konsum beschränkt bleiben. Neben der reduzierten Erwerbsarbeit wäre auch genug Zeit für Muse, für die Entfaltung der Sinnlichkeit, für die persönliche Fortbildung, für die Erziehung der Kinder, für die Pflege alter Menschen und für die Weiterentwicklung des Gemeinwesens, d.h. mit einem Wort für die Entwicklung der „reichen Individualität“ des Menschen (Marx).

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Die Geschichte Wiens auf Wienerisch. Lesung und Buchpräsentation von und mit Ludwig Roman Fleischer
tio pepe, Kaiser-Josef-Platz 3, 9500 Villach

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