2007-01-11
Novartis gegen Indien - es geht um Millionen
Ärzte-ohne-Grenzen: Novartis muss Klage gegen indische Regierung zurückziehen
Neu Delhi/Berlin: Eine Klage des Pharmakonzerns Novartis gegen das indische Patentrecht droht den Zugang zu Medikamenten für Millionen Menschen zu erschweren. Das indische Patentrecht stellt Menschenleben über Patente. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte-ohne-Grenzen ruft nun Novartis daher auf, die Klage gegen Indien umgehend fallen zu lassen.
Worum geht es?
Novartis greift eine Klausel in der indischen Gesetzgebung an, die verhindern soll, dass Patente für geringfügige Weiterentwicklungen bereits bekannter Verbindungen erteilt werden. Sollte die Firma Recht bekommen, könnte dies der Patentierung lebenswichtiger Medikamente auch in Indien den Weg ebnen. Damit würden die Produktion von Generika und der Zugang zu solchen Medikamenten vor allem in ärmeren Ländern behindert werden.
Beispiel Glivec®
Glivec® ist ein Medikament zur Blutkrebsbehandlung. Es wird von Novartis und verschiedenen indischen Generikaherstellern wie Ranbaxy, Cipla, Hetero und Natco produziert und vermarktet. Novartis verlangt für das Medikament in Indien 2.500 US-Dollar pro Patient und Monat, während der Preis der Generika bei rund 175 US-Dollar liegt.
Indien ist seit Jahren eines der wichtigsten Produktionsländer für kostengünstige lebenswichtige Medikamente. Mehr als 80 Prozent der 80.000 Patienten, die in den Projekten von Ärzte ohne Grenzen mit HIV/Aids-Medikamenten behandelt werden, bekommen Generika indischer Herkunft. „Wir sind auf kostengünstige indische Qualitätsmedikamente angewiesen, um so viele HIV/Aids-Patienten wie möglich zu behandeln", sagte Christoph Fournier, internationaler Präsident der Organisation. „Die Versorgung mit diesen Medikamenten muss in jedem Fall garantiert bleiben."
Novartis hatte gemeinsam mit 38 weiteren Pharmaunternehmen bereits vor fünf Jahren gegen die südafrikanische Regierung geklagt, um dort den Import von kostengünstigen HIV/Aids-Medikamenten zu verhindern. Die Klage war damals nach internationalem Druck fallen gelassen worden.
Eine dauerhafte Versorgung mit kostengünstigen neuen Medikamenten ist gerade in der HIV/Aids-Behandlung unerlässlich. Denn durch die unvermeidbare Entwicklung von Resistenzen sind die Patient/innen auf immer neue Medikamentenkombinationen angewiesen. Für einige dieser wichtigen neuen HIV/Aids-Medikamente stehen die Patententscheidungen in Indien gerade an.[1]
„Für Menschen wie mich, die mit HIV/Aids leben, würde ein Sieg von Novartis bedeuten, dass wir in die Zeiten zurückgeworfen werden, als Medikamente für uns unbezahlbar waren", sagte Loon Gangte vom Netzwerk der HIV-Infizierten in Neu Delhi. „Der Wettbewerb mit Generikaherstellern hat HIV/Aids-Medikamente für Patienten und Regierungen erst finanzierbar gemacht. Novartis darf uns den Zugang zu den Medikamenten, die wir zum Überleben brauchen, nicht versperren."
Ärzte-ohne-Grenzen hat eine internationale Petition gestartet, die Novartis dazu bringen soll, die Klage fallen zu lassen. Bitte unterstützen Sie diese Petition! Sie kann hier unterzeichnet werden:
Quelle: http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/
Anmerkungen
[1] Das indische Patentamt hatte den Antrag auf Patentschutz für Glivec® im Januar mit der Begründung abgelehnt, dass Glivec® keine innovative Neuheit sei, die das indische Patentrecht für die Gewährung des Patentschutzes vorschreibt. Vielmehr handele es sich bei dem Medikament lediglich um eine neue Formulierung eines bekannten Stoffes. Durch diese als "Ever-Greening" bezeichnete Praxis werden die negativen Effekte des Patentschutzes auf den Zugang zu Medikamenten unnötig verlängert. Das indische Patentrecht versucht "Ever-Greening" zu verhindern, indem es strikte Kriterien für die Beurteilung der innovativen Neuheit eines Produktes anlegt. Nur bei Erfüllung dieser Kriterien wird Patentschutz gewährt.
Novartis ficht neben der Entscheidung des Patentamtes auch die die Verfassungsmäßigkeit des Abschnitts 3(d) des indischen Patentrechts selbst an. Diese Bestimmung wurde explizit zum Schutz gegen den Patentmissbrauch eingeführt. Das Unternehmen argumentiert, dass sie gegen das internationale Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) verstoße. Da Indien an dieses Abkommen der Welthandelsorganisation gebunden sei, verstoße die Bestimmung auch gegen die indische Verfassung.
Der Abschnitt 3 (d) wurde zum Schutz der öffentlichen Gesundheit eingeführt, als Indien sein Patentrecht im März 2005 im Rahmen der Implementierung des TRIPS-Abkommens änderte. Das indische Patentrecht erkennt geringfügige Weiterentwicklungen von und neue Anwendungsgebiete für bereits bekannte Medikamente nicht als Erfindungen an, die den Schutz durch ein Patent verdienen. Dies ist konform mit dem TRIPS-Abkommen. Denn das Abkommen definiert nicht, was eine durch ein Patent zu schützende Erfindung ist. Vielmehr liegt diese Definition im Ermessenspielraum der einzelnen Staaten. Die 2001 in Doha (Katar) von den Ministern der Welthandelsorganisation unterzeichnete Erklärung zu TRIPS und öffentlicher Gesundheit fordert Regierungen sogar explizit dazu auf, das TRIPS-Abkommen so umzusetzen, dass der Zugang zu Medikamenten für alle gefördert wird. Mit dem Abschnitt 3(d) wird dieses Ziel verfolgt.zurück zum Text
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